Zwischen Neckar und Alb

Mit dem Faden durch die Zeit

Die Firma Heinrich Otto und Söhne wurde vor 200 Jahren gegründet

Die Firma Heinrich Otto und Söhne hat nicht nur die Industriegeschichte im mittleren Neckarraum geprägt. Auch im sozialen Bereich engagierte sich die Familie auf vielen Ebenen. Ihre Geschichte ist in der Wendlinger Galerie zu sehen: „Mit dem Faden durch die Zeit“ heißt die Schau.

Städtebaulich markant ist das Ensemble der Spinnerei der Firma Otto in Unterboihingen. Dort werden noch Garne produziert. Foto:

Städtebaulich markant ist das Ensemble der Spinnerei der Firma Otto in Unterboihingen. Dort werden noch Garne produziert. Foto: Hartmut Otto

Wendlingen. Statt abstrakter Kunstwerke sind in der Wendlinger Galerie Weberstraße 2 poppige Bettwäsche und bunte Garnspulen zu sehen. Die Ausstellung „Mit dem Faden durch die Zeit“ erinnert an die 200-jährige Firmengeschichte von Heinrich Otto und Söhne. Seniorchef Hartmut Otto, der mit seiner Frau Gisela in Wendlingen im Haus der Familie Auf dem Berg lebt, hat 120 Exponate zusammengetragen. Ein Raum ist dem ehemaligen Verkaufsrenner Luxorette-Bettwäsche gewidmet. Diese Marke, die selbst in Japan Absatz fand, hat Hartmut Otto aufgebaut und entwickelt.

„Ich will die Industriegeschichte dokumentieren, aber die Menschen des Unternehmens sind ebenso wichtig“, umreißt Otto sein Ausstellungskonzept, das er mit der Historikerin Michaela Häfner entwickelt hat. Auf drei Stockwerken zeigt Otto Gemälde, Fotos und Exponate aus der Firmengeschichte.

Im Erdgeschoss sind Bilder seiner Ahnen zu sehen. Im Obergeschoss stapeln sich Garnspulen, außerdem stehen dort Maschinen und Messgeräte. Otto will die Betrachter auch mit Produktionsprozessen der Weberei und Spinnerei vertraut machen. Dazu gibt es Videos. Im Untergeschoss geht es um Geschichtliches. Da stehen Spinde und ein Schreibtisch. „Wir zeigen auch Exponate aus der Zeit des Nationalsozialismus“, sagt Otto. Er will diesen dunklen Teil der Geschichte nicht ausklammern.

1816 gründete der Kaufmann Immanuel Friedrich Otto das Unternehmen in Nürtingen. Er begann mit einem Spinnereibetrieb und einer „Türkisch-Rot-Garnfärberei“. Der Neckar lieferte die Wasserkraft. 1844 übergab er das Unternehmen seinem Sohn Heinrich, der die Expansion einleitete. Heinrich Ottos Sohn Robert wurde die Firma in Unterboihingen übertragen, die seit 1872 „Heinrich Otto und Söhne“ heißt. Mit der Gründung einer Weberei und Spinnerei ging der junge Unternehmer weiter auf Expansionskurs. Sein Bruder Heinrich junior übernahm den Firmenzweig in Reichenbach.

Die Spinnerei am Ortsrand in Richtung Oberboihingen wird heute noch von Otto betrieben. Die Gebäude beim Wendlinger Bahnhof werden ebenfalls gewerblich genutzt und sind teilweise vermietet. Derzeit entwickelt Hartmut Otto mit Vertretern des Verbands Region Stuttgart und mit Bürgermeister Steffen Weigel ein städtebauliches Konzept für das Areal. Die denkmalgeschützten Gebäude „im Herzen der Stadt“ bergen nach den Worten Weigels „Potenzial für städtebauliche Entwicklung“.

Das soziale Engagement der Firma Otto prägte Wendlingen. Deshalb ist die Arbeitswelt im 19. Jahrhundert Thema. Noch vor der Sozialgesetzgebung des Reichskanzlers Otto von Bismarck setzte das Unternehmen da Meilensteine. 1882 wurde eine Betriebskrankenkasse gegründet. Die 280 Mitarbeiter mussten fünf Prozent ihres Lohns einzahlen. Der Betrag wurde mit fünf Prozent verzinst. 1871 gründeten die Arbeiter einen Männergesangverein. Ein Jahr später wurde die Arbeitszeit von den damals üblichen dreizehn auf zwölf Stunden heruntergesetzt. Ab 1889 wurde nur noch elf Stunden gearbeitet.

Robert Ottos Frau Emma war eine Nichte des Philosophen und Revolutionärs Friedrich Engels. Aus den Mitteln einer Stiftung, die sie initiiert hatte, wurde die Otto-Kirche mit Pfarrhaus gebaut, die jahrzehntelang den evangelischen Christen als Gotteshaus diente. 1969 wurde das Kirchlein abgerissen, aber der Otto-Friedhof auf dem Wohnareal der Familie ist für die Öffentlichkeit zugänglich. „Im katholisch geprägten Unterboihingen war die Otto-Kirche für die evangelischen Christen sehr wichtig“, erinnert sich Hartmut Otto.

Der älteste Sohn Robert Ottos, Fritz, übernahm das Unternehmen in Wendlingen 1905. Er gründete 1907 mit seinem Onkel Heinrich, der die Firma in Reichenbach führte, eine Baumwollpflanzung in Kilossa im damaligen Deutsch-Ostafrika, heute Tansania. Über ihre sehr kurze Geschichte gibt es eine weitere Ausstellung im Wendlinger Stadtmuseum. Fritz Otto war bekennender Christ. Er stand den Nationalsozialisten ablehnend gegenüber. Wegen seiner konsequenten Haltung musste er 1939 sein Amt als „Betriebsführer“ auf seinen Sohn Robert übertragen. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging das soziale Engagement der Familie weiter. Hartmut Otto erinnert an seine Tante, die im Haus der Familie ein Säuglingsheim für die Mütter von Kindern amerikanischer Soldaten einrichtete. Darauf ist der Unternehmer stolz.

Er hat die Geschäftsführung der HOS an seinen Sohn Dirk übergeben, der sie in achter Generation weiterführt. Heute betreibt die Firmengruppe in Unterboihingen noch die Spinnerei, in der technologisch hochwertige Garne produziert werden. Bei der Melchior Textil GmbH im Allgäu wird Berufskleidung hergestellt. Die Tochtergesellschaft Luxorette betreibt auf dem Otto-Areal beim Bahnhof in Wendlingen einen Fabrikverkauf. Der Schwerpunkt der Muttergesellschaft HOS liegt im Bereich Vermietung und Verpachtung.

 

Die Ausstellung in der Galerie ist bis 29. Mai zu sehen. Die Öffnungszeiten: mittwochs bis samstags von 15 bis 18 Uhr, sonn- und feiertags von 11 bis 18 Uhr

Städtebaulich markant ist das Ensemble der Spinnerei der Firma Otto in Unterboihingen. Dort werden noch Garne produziert.

Seniorchef Hartmut Otto erläutert die Funktionsweise der Maschinen.Foto: Andreas Kaier

Seniorchef Hartmut Otto erläutert die Funktionsweise der Maschinen. Foto: Andreas Kaier