Zwischen Neckar und Alb
Mit großem Taxi für alle unterwegs

Auszeichnung Bei ihr fährt der Servicegedanke mit, sitzt die personifizierte Kundenfreundlichkeit am Steuer. Andrea Kontoyanidis aus Reichenbach wurde zur „Busfahrerin des Jahres“ im Kreis Esslingen gekürt. Von Simone Weiß

Sie beherrscht die drei „Fs“ wie aus dem Effeff. Andrea Kontoyanidis hat es drauf – in puncto Freundlichkeit, Fahrstil und Fachkompetenz. Darum wurde die 46-Jährige, die in Reichenbach lebt, zur Busfahrerin des Jahres im Landkreis Esslingen gewählt. Die tonnenschweren Linienbusse des Städtischen Verkehrsbetriebs Esslingen (SVE) steuert sie souverän die Straßen: „Ich komme jeden Morgen mit einem Lächeln zur Arbeit, und dieses Lächeln gebe ich an die Fahrgäste weiter“, sagte die Ausgezeichnete bei der Übergabe von Ernennungsurkunde, Wimpel und einem Einkaufsgutschein im Wert von 200 Euro durch Thomas Hachenberger, dem Geschäftsführer des Verkehrs- und Tarifverbunds Stuttgart (VVS).

Irgendwann kommt in jedem Leben die Zeit für Veränderungen. Bei Andrea Kontoyanidis war es vor drei Jahren soweit. Sie blickte auf eine abwechslungsreiche Berufstätigkeit zurück – eine Lehre zur Einzelhandelskauffrau, eine Ausbildung zur Malerin und Lackiererin sowie eine lange Zeit als selbstständige Geschäftsfrau mit einem eigenen Schreibwarengeschäft, das sie zusammen mit ihrem Mann betrieb. Ihr Sohn war erwachsen und studierte Wirtschaftsinformatik. Sie selbst hatte oft eine Sieben-Tage-Woche mit Verkauf und Beratung im eigenen Laden, dem Besuch von Messen, dem Vorbereiten der kommenden Arbeitswoche. Zu wenig Freizeit, zu wenig Atempausen, zu viel Eingespanntsein – da schaute sie sich nach Alternativen um.

Und die waren schnell gefunden. Sie sei in Esslingen geboren, erzählt Andrea Kontoyanidis. Dort würde es viele „coole Buslinien“ geben, die sie schon als Kind fasziniert hätten. Damals habe sie aber noch nicht im Traum daran gedacht, selbst einmal in die Branche einzusteigen. Seit sie den Autoführerschein habe, sitze sie aber leidenschaftlich gerne am Steuer: „Im Bekanntenkreis bin ich deshalb schon immer Taxi für alle gewesen.“ Und dieses Taxi könnte auch gerne eine Nummer größer ausfallen.

Mehr als nur eine Busfahrerin
Das neue Berufsziel stand also fest – und mit 43 Jahren sattelte sie noch einmal um. Auf eigene Kosten machte sie in 6,5 Wochen den Busführerschein, bewarb sich bei dem SVE und wurde dort mit Kusshand genommen. Gerade die Zeit als Selbstständige im Einzelhandel habe gezeigt, dass Andrea Kontoyanidis freundlich mit Menschen umgehen könne und sie sich im Dienstleistungsbereich sehr gut auskenne, betont der kaufmännische SVE-Werksleiter Andreas Clemens.
Sie ist denn auch mehr als eine reine Busfahrerin – sie ist Kümmerin, Servicekraft, Alltagshelferin, Psychologin, Problemlöserin.

Eine Passagierin berichtete, Andrea Kontoyanidis habe ihr nach dem Ticketkauf gleich noch gezeigt, wie es funktioniere. Beim Kauf einer Mehrfahrtenkarte habe Andrea Kontoyanidis der Käuferin angeboten, das Billett gleich zu falten. Sie würde ja sitzen und habe die Hände frei. „Alle Fahrgäste, die bei ihr vorne einsteigen, begrüßt sie mit einem Lächeln“, erzählt ein anderer Fahrgast. Dieses Verhalten katapultierte die Busfahrerin in der Gunst ihrer Mitfahrenden weit nach vorne. Fahrgäste, so erklärt Thomas Hachenberger, konnten Vorschläge zur Nominierung des Busfahrers des Jahres online einreichen. Eine Jury aus Vertretern der VVS, der Verbundlandkreise und der regionalen Busunternehmen haben in allen fünf Verbund-Landkreisen und der Stadt Stuttgart ihre Favoriten gewählt. Im Kreis Esslingen machte Andrea Kontoyanidis das Rennen. Denn Freundlichkeit ist ihr zweiter Vorname. Und Busfahrerin ihr Traumjob. Feierabend bedeute hier gleich Feierabend: „Es bleiben keine Aufgaben liegen, um die ich mich am nächsten Tag kümmern muss.“

Ihr Chef Andreas Clemens freut sich, dass eine seiner wenigen Busfahrerinnen den Titel nach Hause gefahren hat. Andrea Kontoyanidis ist bei aller Herzlichkeit aber auch eine Frau mit Prinzipien. Ein attraktives Erscheinungsbild, sagt sie, halte sie auch im Dienst für unverzichtbar. Outfit, Frisur und Kleidung müssten einfach ordentlich sein: „Ein bisschen Etikette darf schon sein.“ Und sie fügt gleich noch ihr Lieblingserlebnis aus ihrem Berufsalltag hinzu. Ein kleiner Junge wollte viel lieber mit ihr im Bus in der Gegend herumfahren als einen Spielzeugladen besuchen: „Er hat sich ein Stadtticket gekauft und ist mehrere Runden bei mir im Bus mitgefahren.“

 

Der Wettbewerb und die Verkehrsbetriebe

Titel: Der Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart (VVS) verleiht seit 2004 den Titel „Busfahrer oder Busfahrerin des Jahres“. 2022 wurde der Wettbewerb zum 19. Mal ausgeschrieben. Damit solle auch ein Ansporn für die Kollegen der Ausgezeichneten geschaffen werden, erklärt VVS-Geschäftsführer Thomas Hachenberger. Die Wahl erfolgt über mehrere Stufen: Fahrgäste schlagen online geeignete Kandidaten vor, und eine Fachjury wählt dann meist aus vier Nominierten den Sieger aus.

SVE: Der Städtische Verkehrsbetrieb Esslingen (SVE) als städtischer Eigenbetrieb befördert nach Angaben von Oberbürgermeister Matthias Klopfer jährlich rund 8,6 Millionen Fahrgäste im ganzen Stadtgebiet. Das Unternehmen befindet sich im Umbruch, denn nach einem Gemeinderatsbeschluss von 2017 soll der SVE zum ersten, rein elektrisch fahrenden kommunalen Verkehrsunternehmen umgebaut werden. Daher werden eine grundlegende Erneuerung des Fuhrparks mit Batterie-Oberleitungsbussen und ein moderater Ausbau der Oberleitungsinfrastruktur durchgeführt. sw