Nürtingen. Auf dem Cover gibt es eine Menge wohl durchdachter Details zu entdecken, die zu einer längeren Betrachtung einladen. Aus der Komposition spricht die Hand des Profis: Der Bühnenmaler-Geselle Fabio Dahm hat bei seiner ersten Soloplatte so gut wie alles selbst gemacht, die Lieder geschrieben und getextet, alle Instrumente eingespielt und gesungen. Es ist eine LP geworden, klassisches Vinyl für Musikliebhaber. Erschienen ist das Soloprojekt unter dem Namen „Dahmn“, ein Wortspiel aus dem englischen „Verdammt“ und seinem Namen. Der Titel „Trauma Experience“ ist Programm. Denn Fabio Dahm verarbeitet in den sechs Titeln ein Erlebnis, das ihm vor knapp zwei Jahren wiederfahren ist.
Eine Gruppe Jugendliche attackierte ihn damals und verletzte ihn lebensgefährlich mit einem Messerstich, weil ihnen der Aufdruck auf dem T-Shirt des damals 27-Jährigen nicht zusagte. Eine Zufallsbegegnung. Dahm und die mittlerweile verurteilten Angreifer hatten sich vorher nicht gekannt. Der Aufdruck „Nürtinger Hurensöhne“ auf dem T-Shirt, das viele in Nürtingen tragen, bezieht sich auf ein Lied von Dahms früherer Band Roidige Hunde.
Nach dem Angriff ging es darum, Dahms körperliche und seelische Gesundheit wieder herzustellen. Erst kürzlich wurde er an der Nase operiert, eine Spätfolge. Auch die Seele ist noch nicht verheilt. Das Soloprojekt hilft dabei. Fabio Dahm macht seit vielen Jahren Musik, Gitarre spielt er seit seinem neunten Lebensjahr, zurzeit nimmt er Gesangsunterricht und Schlagzeug hat er sich in den vergangenen Jahren selbst beigebracht.
Eins der Lieder heißt „P19A“, das ist der Name der Traumastation am Esslinger Krankenhaus, wo Dahm drei Monate verbrachte: „Es hat sehr gut getan, dort zu sein, es war aber auch sehr anstrengend“, sagt er, dankbar dafür, wie ihm dort geholfen wurde.
Ein anderer Titel, „Dissociation“, verweist auf einen Schutzmechanismus der Seele, wenn alles zu viel wird. Die Betroffenen sehen sich teilweise wie von außen, spalten das Belastende von sich ab. So etwas Ähnliches hat Fabio Dahm in seiner Musik gemacht: „Alles, was zu krass ist, wird auf Platte gebannt.“
Da ist zum Beispiel eine riesengroße Wut. Im echten Leben ist der Musiker und Maler ein sehr friedliebender Mensch, aber in der Musik kann er den biblischen Rachegedanken Ausdruck verleihen. Es geht darum, seine Ressourcen nutzen, um sich einen Alltag zurückzuerobern.
Ein weiteres großes Thema ist der Umgang mit Menschen, die an einem Trauma leiden. Psychische Erkrankungen sind tabu, es gibt viel zu wenig Therapien und Therapeuten, die Betroffenen und das soziale Umfeld sind oft überfordert und warten viel zu lange auf Hilfe. „Ich habe gleich zehn Notfallsitzungen bekommen, der Weiße Ring hat sich um mich gekümmert und ich bekam eine Opferanwältin. Andere, bei denen sich eine Krankheit langsam anschleicht, bekommen nicht so schnell Hilfe.“
Die Arbeit am Stuttgarter Staatstheater läuft gerade auf Sparflamme, da es kaum Aufführungen gibt. Da bleibt Zeit für die Musik und weitere Kunstprojekte. Ein zweites Album ist für das kommende Jahr geplant, da das Thema „Trauma“ noch lange nicht auserzählt ist. Sobald es wieder möglich ist, möchte er „Trauma Experience“ auf die Bühne bringen. Noch sucht er Musiker für Live-Auftritte, die ihm helfen, die Musik so umzusetzen, wie er sie konzipiert hat: Rau, punkig, aber technisch anspruchsvoll mit Hang zur Perfektion.
Ordern kann man das Album per Mail an dahmn@web.de. Eine Hörprobe gibt es hier.