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Mit Volldampf durch Oberschwaben

Tipp zum Wochenende – Verein restauriert 116 Jahre alte Schmalspur-Lok

Ein bedeutendes Stück Esslinger Technikgeschichte ist zu neuem Leben erwacht. Nach vier Jahren Restaurierungsarbeiten durch den Öchsle-Schmalspurbahnverein steht die 116 Jahre alte Schmalspur-Lokomotive 99 633 wieder unter Dampf.

Gemeinsam mit ihrer von der Maschinenfabrik Esslingen gebauten Schwester-Lok fährt die 99 633 im Jahr 1964 im Bahnhof Bad Buchau
Gemeinsam mit ihrer von der Maschinenfabrik Esslingen gebauten Schwester-Lok fährt die 99 633 im Jahr 1964 im Bahnhof Bad Buchau ein. Foto: Öchsle-Schmalspurbahn

Esslingen. Ende November 1899 eröffnete die Königlich Württembergische Staatseisenbahn die knapp 19 Kilometer lange Strecke zwischen Warthausen nahe Biberach und Ochsenhausen. Die „Öchsle“ genannte Strecke wurde als Schmalspurbahn mit einer Spurweite von 750 Millimetern angelegt, was unter anderem engere Kurvenradien erlaubte und damit viel Geld sparte. Die Maschinenfabrik Esslingen (ME) lieferte für die württembergischen Schmalspurstrecken Zugmaschinen neuer Bauart. Nach ihrem Erfinder, dem Schweizer Jules Anatole Mallet, wurden sie auch „Mallet“-Lokomotiven genannt. Die Lokomotiven zeichneten sich durch eine effektivere Nutzung des Dampfdrucks aus. Dadurch konnte erheblich Kohle eingespart werden.

Insgesamt neun Schmalspur-Lokomotiven des Typs Mallet Tssd baute die ME zwischen 1899 und 1913, vier davon wurden für die Ochsenhausener Strecke ausgeliefert. Die Lok 99 633 verließ die Esslinger Werkhallen im Jahr 1899 mit der Fabriknummer 3072, ihren Dienst nahm sie unter der Betriebsnummer 43 auf, unter der Bezeichnung 99 633 fährt sie seit dem Jahr 1920, als die einzelnen Länderbahnen in der Deutschen Reichsbahn zusammengefasst wurden.

Bis zum Jahr 1928 bewältigten die Lok 99 633 und die anderen drei Maschinen den Personen- und Güterverkehr auf der Öchsle-Strecke. Zwar brachten sie bei einem Eigengewicht von fast 29 Tonnen mit 250 PS respektable 30 Stundenkilometer unter Last zustande, doch die Anforderungen an die Zugkraft wuchsen, auch wegen des höheren Güteraufkommens. Schließlich wurden stärkere Maschinen in Sachsen gekauft, die Esslinger Loks an die Federsee-Bahn nach Schussenried abgegeben. Nach und nach wurden die Maschinen ausgemustert, die Lok 99 633 jedoch erwies sich als besonders zäh und wurde erst im Jahr 1969 im Alter von 70 Jahren und mit einer Laufleistung von damals drei Millionen Kilometern als letzte in den Ruhestand geschickt.

Nach einer Restaurierung durch den neuen Besitzer, die Deutsche Gesellschaft für Eisenbahngeschichte, wurde die Lok ab 1982 zunächst im Museumsbetrieb auf der Jagsttalbahn, ab 1985 bei der damals neu entstandenen Öchsle-Museumsbahn eingesetzt. Nach einem Unfall mit einem Auto an einem der Bahnübergänge 1990 wurde die Lok von der Schiene genommen und zunächst im Dampflokomotivenwerk Meiningen in Thüringen instand gesetzt, dann aber im Lokschuppen von Möckmühl abgestellt, wo sie verstaubte und zu verrosten drohte. 2002 kehrte sie als Ausstellungsstück nach Ochsenhausen zurück, im Jahr 2007 erwarb der Öchsle-Schmalspurbahnverein die Lok.

„Sofort begannen die Planungen für die Aufarbeitung“, erzählt Bernhard Günzl vom Öchsle-Verein, der die Restaurierungsarbeiten für die Lok 99 633 koordinierte. Schließlich rückte der Traum der Vereinsmitglieder in greifbare Nähe, einen vollständigen württembergischen Schmalspurzug mit Originalfahrzeugen auf die Schiene zu bringen.

Die Lok wurde in ihre Einzelteile zerlegt, etliche Komponenten wurden in Eigenleistung aufgearbeitet. Viele Monate lang wurde in den Werkstätten der Öchsle-Bahn entrostet, gefeilt, gebohrt, geschraubt und geschweißt, Armaturen auf Vordermann gebracht, Leitungen neu verlegt, Federn repariert, manche Bauteile wie der Kolben der Luftpumpe neu angefertigt. Manches Problem bereitete den Ehrenamtlichen viel Kopfzerbrechen. So war die vordere Kupplung ursprünglich nur für das Rangieren, nicht aber für den Zugbetrieb konstruiert. Da im Bahnhof Ochsenhausen aber keine Drehscheibe existiert, wurde umgespannt und rückwärts gezogen, was im Lauf der Jahrzehnte zu erheblichen Schäden geführt hatte. Technische Finesse der Ehrenamtlichen führte aber auch dabei zu einer betriebstechnisch sicheren und denkmalgerechten Lösung.

Der Kessel allerdings war nicht mehr zu retten. „Das Material hätte eine Aufarbeitung nicht mehr mitgemacht“, berichtet Günzl. Bei einer Spezialfirma in Graz wurde ein neuer Kessel gefertigt. Da keine technischen Unterlagen oder Pläne der ME zum Kessel existieren, musste zunächst aufwendig vermessen, berechnet und eine neue Konstruktionszeichnung angefertigt werden.

Der Rahmen, das Fahrwerk und das viele Hundert große und kleinere Teile umfassende Lokomotiv-Puzzle wurde schließlich auf einen Tieflader gepackt und nach Jenbach in Tirol in die Werkstätten der Zillertalbahn gebracht. Dort folgten im vergangenen Herbst der Zusammenbau und die Probefahrten der Maschine.

Rund 360 000 Euro, die zum größten Teil durch Spenden aufgebracht wurden, und ungezählte Stunden ehrenamtlicher Arbeit stecken in der denkmalgeschützten, einzigen noch betriebsfähigen Schmalspurlok der ehemaligen Königlich Württembergischen Staatseisenbahnen. „Es war insgesamt ein unglaublicher Aufwand, aber er hat sich gelohnt. Für uns ist ein Traum in Erfüllung gegangen“, sagt Thomas Freidank, Sprecher des Öchsle-Schmalspurvereins.

Jetzt ist 99 633 wieder im Museumsbetrieb auf der Öchsle-Strecke unterwegs. „Allerdings wird das wertvolle Schmuckstück nicht an allen Fahrtagen unter Dampf stehen. Es wird auch geschont werden.“

Nach vierjähriger Restaurierungszeit glänzt und dampft die historische Schmalspurlok jetzt wieder. Foto: Baum
Nach vierjähriger Restaurierungszeit glänzt und dampft die historische Schmalspurlok jetzt wieder. Foto: Baum

Im Pendelverkehr unterwegs

Die Öchsle-Schmalspurbahn von Warthausen nach Ochsenhausen dampft von Mai bis Mitte Oktober an jedem Sonntag sowie an jedem ersten und dritten Samstag im Monat jeweils zweimal im Pendelverkehr. Von Juli bis September verkehrt der Zug auch donnerstags. Informationen zu Fahrplan, Preisen, Reservierungen, Sonderfahrten, Feiern und Festen in den Kommunen an der Strecke und zu den Fahrtagen der Lok 99 633 gibt es im Internet unter www.oechsle-bahn.de. Ein Foto der Lok 99 633 ziert die Titelseite der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift „Esslinger Dampfdruck“, die der Förderverein zur Erhaltung von Lokomotiven der Maschinenfabrik Esslingen (FVME) herausgibt. In dem Heft findet man neben einem Artikel über die Lok auch eine historische Zeichnung. Über die Geschichte von Kesslers Lastzuglokomotiven wird im „Dampfdruck“ ebenso berichtet wie über die letzte Lok des ME-Gründers, die 1867 auf der Weltausstellung in Paris eine Goldmedaille erhielt. Und die Mitglieder des FVME stellen ihre Arbeit an der T3-Lokomo­tive vor. Die „Esslinger Dampfdruck“ gibt es zum Preis von 2 Euro im Stadtmuseum am Hafenmarkt sowie in der Stadtinfo am Marktplatz. pst