Zwischen Neckar und Alb

Neunjährige schweißt Nachbarschaft zusammen

Musik Eine junge Saxophonistin spielt jeden Abend um 18 Uhr für die Bewohner ihrer Straße „An die Freude“.

Anna Neubauer hat Spaß an ihren Minikonzerten und will sie auch in Zeiten nach Corona fortsetzen. Foto: Thomas Krytzner
Anna Neubauer hat Spaß an ihren Minikonzerten und will sie auch in Zeiten nach Corona fortsetzen. Foto: Thomas Krytzner

Baltmannsweiler. Es ist seit bald zehn Wochen ein fester Tagespunkt in der Waldstraße in Baltmannsweiler. Sobald die Kirchenglocken um 18 Uhr den Abend eingeläutet haben, greift Anna Neubauer zum Saxophon und spielt im Freien „An die Freude“ von Friedrich Schiller. Dieses von Beethoven vertonte Meisterwerk kennt Anna noch vom früheren Musikunterricht. „Vorher spielte ich Flöte. Da gehörte das Lied schon dazu.“

Saxophon spielt die Musikbegeisterte seit 2019, obwohl das gar nicht ihr Wunschinstrument war. „Ich wollte immer Trompete spielen, dann hörte ich bei einem guten Freund, wie seine Mama auf dem Saxophon spielte und ich war sofort begeistert.“ Dass Anna Neubauer nun seit bald zehn Wochen jeden Abend zur Freude der Nachbarn ein Minikonzert gibt, verdankt sie der Anwohnerin Erika Jekal. Diese gehört durch ihr Alter zu den besonders gefährdeten Personen während der Corona-Pandemie. „Ich sah, wie die Menschen während der schweren Zeit in Italien auf den Balkonen sangen“, erinnert sich die Rentnerin. Da sei ihr eingefallen, dass Anna Neubauer das schöne Lied „An die Freude“ immer wieder übt. „Ich habe Anna gefragt, ob sie nicht um 18 Uhr draußen für alle spielen wolle und ich singe dazu.“ Dieses Minikonzert blieb in der Folge nicht ungehört. „Am Anfang waren es drei oder vier Nachbarn, mit der Zeit kamen immer mehr aus der Waldstraße dazu.“

Der 18-Uhr-Termin gehört bei den Anwohnern mittlerweile zum Tagesplan und schon der jüngste Bewohner der Waldstraße erinnert seine Eltern mit „Anna, la-la“ an das tägliche Minikonzert. Für die Nachbarn besteht das kurze Event aber nicht nur aus Musik und Gesang, wie Erika Jekal bestätigt: „Für mich persönlich ist es eine wichtige und willkommene Abwechslung im einsamen Alltag. Wir dürfen kaum raus gehen.“ Auch seelisch profitiert die Seniorin. „Mein Mann starb Ende des letzten Jahres und die Musik und die Gespräche mit den Nachbarn tun mir gut.“ In gebotenem Abstand bleiben jeweils rund 30 Anwohner nach Annas Spiel meist noch stehen und unterhalten sich. „Wenn jemand aus der Straße Geburtstag hat, trinken wir gerne auch ein Sektchen“, verrät Erika Jekal mit Augenzwinkern.

Lampenfieber ja, aber wenig

Für Anna Neubauer, die an der Musikschule Plochingen Unterricht nimmt, war es ideal, dass am Anfang nur wenig Zuhörer kamen. „So konnte ich mich gut eingewöhnen und jetzt bin ich kaum noch aufgeregt.“ Neben dem verdienten Applaus bekommt die junge Musikerin teilweise sogar noch eine kleine Gage von den Nachbarn in Form von Spielzeug. Und so wird die kleine Virtuosin nach dem Minikonzert wieder zur gewöhnlichen Neunjährigen und fragt: „Mama, darf ich heute Abend mit den neuen Spielsachen länger spielen?“ Thomas Krytzner