Zwischen Neckar und Alb

„Nur harte Kante zeigen, reicht nicht“

Interview Rainer Arnold war 19 Jahre lang für die SPD im Bundestag. Nun hört er mit 67 Jahren in Berlin auf. Er will aber ehrenamtlich engagiert bleiben. Von Harald Flößer

Der SPD-Abgeordnete für den Wahlkreis Nürtingen, Rainer Arnold, will nach seiner Zeit im Bundestag mehr Musik machen, fotografie
Der SPD-Abgeordnete für den Wahlkreis Nürtingen, Rainer Arnold, will nach seiner Zeit im Bundestag mehr Musik machen, fotografieren und kochen.Archiv-Foto: Jean-Luc Jacques

Nach 19 Jahren hat Rainer Arnold seinen Sitz im Deutschen Bundestag geräumt. Die Krisenherde dieser Welt waren sein wichtigstes Tätigkeitsfeld. Als verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion war er immer gefragt, wenn es beispielsweise um Auslandseinsätze der Bundeswehr ging. Mit 67 ist für den Sozialdemokraten nun Schluss. Doch ganz will der passionierte Musiker und Fotograf von der Politik nicht lassen, wie er im Interview erklärte.

Zu Ihrer Verabschiedung ist sogar Sigmar Gabriel als Überraschungsgast nach Unterensingen gereist und hat Sie überschwänglich gelobt. Sie seien mit Ihrer Bodenhaftung und Ihrem Weitblick ein „Superrepräsentant der SPD“ gewesen. Wie schwer fällt es, nach so einer Hymne aufzuhören?

Rainer Arnold: Wenn man wie ich in Berlin wahnsinnig gerne Politik gemacht hat, ist es nicht einfach, aufzuhören. Ich war immer der Meinung: Mit 67 ist ein guter Zeitpunkt, um aufzuhören. Die Freude auf Neues ist im Augenblick größer als die Wehmut.

Ihre Karriere bei der SPD war die Ochsentour im klassischen Sinne. Hatten Sie zwischendurch mal Zweifel, ob das der richtige Weg für Sie ist?

Nein, Zweifel hatte ich nie. Denn wenn Leute lange in der Kommunalpolitik tätig waren und ehrenamtlich politisch gearbeitet haben, sprich unmittelbar an den Geschehnissen dran waren, ist das eine wichtige Grundlage dafür, um dann einen Lebensabschnitt lang hauptberuflich Politik zu machen.

Als verteidigungspolitischer Sprecher der SPD mussten Sie oft harte Attacken reiten gegen die Regierung. War das Ihre Wunschrolle in Berlin?

Ich habe mich 2002 nicht in den Verteidigungsausschuss gedrängt. Irgendwann hieß es, dort ist dein Platz. Aber ich habe schnell gemerkt, dass das ein wichtiges politisches Feld ist und dass sich die Welt angesichts der Kriege auf dem Balkan dramatisch verändern wird.

Mit welchem der sechs Verteidigungsminister haben Sie sich am meisten gefetzt?

Die letzten Wochen waren mit Ministerin von der Leyen ein wirklich großes Ärgernis. Denn sie will gar nicht wahrnehmen, wie tief der Vertrauensbruch zwischen den Soldaten und der militärischen politischen Führung ist. Viel gestritten habe ich auch mit Minister De Maizière wegen einer völlig verfehlten Bundeswehrreform. Er war in meinen Augen beratungsresistent. Es waren auf der ganzen Strecke harte Auseinandersetzungen, mit Minister Jung, der zurücktreten musste, mit Gutenberg, der aus meiner Sicht ein Schaumschläger war. Es gab immer viele Gründe, politisch zu streiten. Ich habe nie einen Unterschied gemacht, ob wir in der Opposition sind oder in einer Koalition. Ich habe es als Abgeordneter stets als meine Aufgabe gesehen, auch die eigene Regierung zu kontrollieren.

Was war in Ihrem Ressort im Rückblick die Entscheidung, mit der Sie am meisten gerungen haben?

Die Soldaten in einen Auslandseinsatz zu schicken, bei dem es kriegerische Auseinandersetzungen gibt, ist jedes Mal eine schwierige Entscheidung. Das wird nie Routine, auch nach vielen Jahren nicht. Besonders schwierig war die Entscheidung, die kurdischen Peschmerga-Kämpfer mit Waffen auszustatten und auszubilden, weil man doch die große Sorge hatte, dass es zwar richtig ist, dass sie den IS zurückdrängen und den Terror bekämpfen. Aber wir hatten vom ersten Tag an die Befürchtung, dass diese Waffen auch genutzt werden, ihre eigenen Ziele für einen kurdischen Staat durchzusetzen. Insgesamt war das ein besonders schwerer Abwägungsprozess.

Was war Ihre schönste und prägendste Begegnung während ihrer Zeit im Bundestag?

Ich hatte in den vergangenen 19 Jahren sehr viele interessante Begegnungen. Am meisten hat sich bei mir der Tag eingeprägt, an dem wir Johannes Rau zum Bundespräsidenten gewählt haben. Er war auch menschlich sehr offen. Dass wir zum ersten Mal in der Gesichte gleichzeitig den Bundeskanzler, den Parlamentspräsidenten und den Bundespräsidenten stellen, war für einen Sozi schon ein besonderes Gefühl.

Sie verlassen die Führungsebene Ihrer Partei in einer der schwierigsten Phasen ihrer 154-jährigen Geschichte. Wo muss die SPD ansetzen, um aus den Niederungen von 20 Prozent wieder nach oben zu kommen?

Wenn ich das Patentrezept hätte, wäre ich König in meiner Partei. Eines ist klar: Zu glauben, dass man nur harte Kante zeigen und ein Stück weiter nach links rücken und vielleicht auch das Personal austauschen muss, das alleine wird nicht reichen. Die Frage ist: Wie definieren wir in unserer Gesellschaft unter den veränderten Bedingungen der globalisierten und digitalisierten Welt unser Kernthema Gerechtigkeit und Solidarität neu, sodass es die Menschen auch erreicht. Die Menschen wollen ja Gerechtigkeit. Aber irgendwie scheint unser Ansatz zu sein: Wir erreichen nur im Kollektiv etwas. In unserer ausgeprägt individualisierten Gesellschaft entspricht das nicht unbedingt dem Zeitgeist. Und da müssen wir uns etwas einfallen lassen.

Ist Martin Schulz der richtige Mann an der Spitze der Partei?

Ich denke, es wäre falsch, wenn wir nach jeder Wahl anfangen würden, Personaldebatten zu führen. Wir müssen jetzt analysieren und auch Dinge verändern. Martin Schulz hat im Augenblick in der Partei, insbesondere an der Basis, ein sehr großes Vertrauen.

Kann ein politischer Mensch wie Sie sich überhaupt von der Politik fernhalten?

Ich kann von der hauptberuflichen Politik loslassen. Mit 22 Jahren habe ich mit der ehrenamtlichen Politik begonnen. Dazu werde ich jetzt zurückkehren. Ich will mich in meiner Freizeit weiter politisch engagieren und mitdenken. Wo ich gebraucht werde, werde ich auch mithelfen.

Was werden Sie mit Ihrer neu gewonnenen Freizeit anfangen?

Hobbys pflegen, ist eine wichtige Säule. Dazu gehören längere Reisen, für die ich mir mehr Zeit nehmen will. In den vergangenen 19 Jahren habe ich maximal 14 Tage Urlaub gemacht. Ich will viel Musik machen, fotografieren, kochen. Aber ich will mich auch ehrenamtlich engagieren. Man lernt in Berlin so viel. Mit den dort gewonnenen Erfahrungen kann man sich gut in die Gesellschaft einbringen.

Zur Person

Rainer Arnold wurde 1950 in Stuttgart geboren. Er ist verheiratet mit Margit Arnold und hat einen Sohn. Arnold absolvierte zunächst eine Lehre als Fernmeldemonteur und arbeitete als Fernmelderevisor. Später studierte er an den Pädagogischen Hochschulen Esslingen und Ludwigsburg. Von 1980 bis 1998 war er als EDV-Fachbereichsleiter und Leiter der Organisationsabteilung der VHS Stuttgart beschäftigt.

In die SPD trat er 1972 ein. Arnold bekleidete viele Ämter auf Orts-, Kreis- und Landesebene, bevor er 1998 zum ersten Mal in den Bundestag gewählt wurde. Ab 2002 bis zu seinem Ausscheiden war er verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Außerdem gehörte er seit 2004 dem SPD-Bundesvorstand an.hf