Zwischen Neckar und Alb

Nur noch ein Flüstern auf dem Asphalt

Recycling Die Wendlinger Firma Kurz pflastert die Straßen mit Mehl und Pulver aus Gummi. Auch Schlaglöcher können damit verhindert werden. Von Simone Weiß

Ausgediente Autoreifen sind kein Müll: Firmengründer Karl Kurz und Geschäftsführerin Hanna Schöberl gehen mit einer neuen Recycl
Ausgediente Autoreifen sind kein Müll: Firmengründer Karl Kurz und Geschäftsführerin Hanna Schöberl gehen mit einer neuen Recycling-Idee an den Markt.Foto: pr

Einfach mal aus dem Fenster herausschauen! Das kann der Beginn einer erfolgreichen Geschäftsidee sein - bei Karl Kurz etwa. Er ist gelernter Schreiner, arbeitete Mitte der 50er-Jahre im erlernten Beruf, wohnte in Stuttgart und schaute abends nach Feierabend einfach mal so aus dem Fenster. Dabei blickte er auf eine Ansammlung alter, ausgedienter Autoreifen und hatte einen Geistesblitz: „Jemand müsste diese Gummiteile entsorgen.“ Und dieser Jemand wollte er sein. So gründete er mit 23 Jahren die Firma Kurz Karkassenhandel. Das Unternehmen, in Wendlingen angesiedelt, entwickelte sich und drängt nun mit einer revolutionären Idee zur Feinmehlherstellung für gummimodifizierten Asphalt auf den Markt. Zur Vorstellung der Methode am Dienstag, 6. August, erzählt Geschäftsführerin Hanna Schöberl, die Enkelin des Firmengründers, hat sie auch Annegret Kramp-Karrenbauer eingeladen. Denn die CDU-Bundeschefin wisse zumindest, was Kreislaufwirtschaft ist. Ob die Christdemokratin allerdings persönlich vorbeischaut, ist noch offen.

Die Idee zur verbesserten Herstellung von gummimodifiziertem Asphalt kam dieses Mal nicht beim Blick aus dem Fenster, erklärt Hanna Schöberl. Ihr Großvater, auch mit 85 Jahren noch ein findiger Tüftler und Unternehmer, hatte 2014 eine Feinvermahlungsanlage erworben, die Reifen auf etwa 0,4 Millimeter Größe schreddert. Heraus kommt dabei ein feines Pulver, ähnlich wie Mehl, das auf vielfache Weise verwendet werden kann - für Gartenschläuche, Gummimatten, Bahnschwellen, Trittschalldämmungen oder Beschichtungen. „Aber“, so erklärt Hanna Schöberl, „wir haben weiter nach einer alternativen Weiterverwertungsmethode für Altreifen gesucht.“ Insgesamt, weiß die 34-jährige gelernte Bankkauffrau, fallen pro Jahr in Deutschland etwa 600 000 Tonnen Altreifen an. Ihre Firma recycelt mit 45 Mitarbeitern dabei gut 60 000 Tonnen Altreifen pro Jahr. Reifenhändler, freie Werkstätten, Autohändler oder auch Landwirte versorgen den Betrieb mit den ausgedienten Gummiteilen, und sie werden dann vor allem zur Granulat- und Zementherstellung wiederverwertet. Allerdings hat die Zementindustrie seit einigen Jahren andere, kostengünstigere Produktionswege erfunden, sodass der Absatz der Altreifen an die Zementwerke rückläufig ist.

Tests waren ermutigend

Aus diesem Grund wurde nach neuen Verwertungsmöglichkeiten für die zu Pulver zermahlenen Autoreifen gesucht. Mit Evonik, dem Straßenbauer Waggershauser Straßenbau aus Kirchheim und verschiedenen Forschungsinstituten wurden geeignete Partner gefunden, die sich an ein neues Projekt heranwagten. Mit Erfolg, wie Hanna Schöberl froh verkündet: Im Teamwork konnte ein Verfahren entwickelt werden, das Gummiasphalt verbessern könne. „Neue Methoden in der Feinmehlherstellung, in der Additiv-Zusammensetzung, im Mischungsverhältnis und in der Verarbeitungstechnik machen das Aufbringen einfacher“, erklärt die Geschäftsführerin. Das Gummimehl, das Additiv und weitere Beigaben werden in der Asphaltmischanlage zusammen verarbeitet - und das Ergebnis ist laut Hanna Schöberl überzeugend: Bestimmte Eigenschaften des Straßenbelages könnten dadurch verbessert werden - Haltbarkeit, Elastizität und Temperaturbeständigkeit, also weniger „Schlaglöcher“. Die tiefen Spurrinnen, die sich oft vor Bushaltestellen oder Straßen mit viel Schwerlastverkehr bilden, würden damit der Vergangenheit angehören, sagt Hanna Schöberl. Und das laute Rattern und Dröhnen vor allem von Schwerlastverkehr auf der Straße würde es nicht mehr geben, denn durch die Verbesserung des Belags sei nur noch ein leises Flüstern auf dem Asphalt zu hören.

Die Tests waren nach Angaben der Geschäftsführerin sehr ermutigend. Die genaue Zusammensetzung ihres Wundermittels möchte die Mutter einer fünfjährigen Tochter nicht verraten, aber sie sieht die Erfindung als echte Pionierleistung an: „Dafür sind die Schwaben schon immer bekannt gewesen.“ Ihr Großvater Karl Kurz habe damit in der Altreifenentsorgung neue Tatsachen geschaffen. Und das mit 85 Jahren. Oft ist der Blick aus dem Fenster eben der Beginn einer erfolgreichen Geschäftsidee.