Zwischen Neckar und Alb

Parteienforscher: Grüne punkten wegen klarer Haltung

Politik-Gespräch Gastel diskutiert mit Parteienforscher Professor Uwe Jun über das Schwinden der Volksparteien.

Matthias Gastel (Grüne)
Matthias Gastel (Grüne)

Nürtingen. Ist es Politikverdrossenheit oder ist es Parteienverdrossenheit, weshalb die großen Volksparteien wie zuletzt bei den Wahlen in Bayern und Hessen erhebliche Verluste hinnehmen müssen? Wie sind die im Bundestag vertretenen Parteien aufgestellt, welche Perspektiven haben sie? Solchen Fragen ging der Grünen-Bundestagsabgeordnete Matthias Gastel in Nürtingen im Gespräch mit dem Parteienforscher Professor Uwe Jun der Universität Trier nach.

Gastel stellte fest, dass die gewohnten politischen Lager im Begriff sind, sich aufzulösen, was auch Regierungsbildungen erschwere. Eine tendenziell sinkende Wahlbeteiligung lasse dazu ein verhaltenes Interesse an Politik vermuten.

Für die zunehmende Abkehr von der Wahlurne und Volksparteien sieht Jun verschiedene Gründe. Zum einen sei die selektive Wahrnehmung gestiegen, vor allem auch durch soziale Medien: „Man glaubt gerne, was man glauben möchte.“ Und das werde oft an einzelnen Ereignissen festgemacht, die für Wahlentscheidungen eine größere Rolle spielen könnten als die Bindung an eine Partei. Das Auflösen solcher Bindungen sei ein gesellschaftliches Phänomen und auch bei den großen Kirchen oder Gewerkschaften festzustellen. Mittlerweile sei die Zahl der Wechselwähler, vor allem unter Jüngeren, höher als die der Stammwähler.

Die Abkehr von großen Parteien sei, nicht nur in Deutschland, nach langen Phasen von gleichbleibenden Koalitionen festzustellen. Dabei seien 77 Prozent der Wahlberechtigten mit ihrer aktuellen Lage recht zufrieden, auch wirtschaftlich. Dennoch bekämen Parteien an den Rändern des politischen Spektrums Zulauf. „Oft ist es die Angst, den erarbeiteten Wohlstand zu verlieren“, so Jun. Auf der anderen Seite gebe es die Unzufriedenen, die von Entwicklungen objektiv abgehängt seien. Das schlage sich bei den Linken wie auch bei der AfD nieder, wobei Jun die Politik der Linken noch als wesentlich etablierter sieht, als die der AfD, die fast nur von dem einzigen Thema, der Zuwanderung von Flüchtlingen, lebe.

Die Grünen als AfD-Antipode

Das sei zum Problem für die CDU und zum Vorteil der AfD geworden, die als einzige Partei deutliche Kritik an der Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel geübt habe. Auf der anderen Seite des Wählerspektrums profitierten die Grünen wiederum von ihrer klaren Haltung zu Migrationsfragen: „Die Grünen sind der klare Antipode zur AfD.“ Auch zur Klima- und Umweltpolitik äußere sich Gastels Partei eindeutig, was sie offensichtlich in der Wählerschaft punkten lasse. Wirtschaftspolitisch sei die Haltung der Grünen dagegen eher pragmatisch, doch spielten Fragen der Wirtschaft im Moment eine untergeordnete Rolle. Das könne sich ändern, wenn zum Beispiel Währungskrisen wieder näher rücken.

Der SPD dagegen fehle es an Themen, die Klientel der Geringverdiener sei zu wenig und zum Teil auch von den Linken besetzt. Vielmehr müsse die SPD auch mittleren Schichten Angebote machen. Andererseits habe Merkel sozialdemokratische Themen aufgesaugt, wie zum Beispiel den Mindestlohn. Die Kanzlerin habe ihre Partei in der politischen Mitte platziert, wo auch die SPD hinwollte. Gastel hatte einen erstaunlichen statistischen Wert parat, die sogenannte Umkehrfrage: „Wen würden Sie niemals wählen?“ Mit dem geringsten Wert schneidet die SPD dabei mit Abstand am besten ab, die AfD am schlechtesten. „Das ist eine Steilvorlage für die SPD, aus der sie zu wenig macht“, stellt Parteienforscher Jun fest. Die CDU wiederum laufe Gefahr, sich im Streit mit der CSU und der fehlenden Sachpolitik zu zerreiben. „Die Menschen haben den Streit satt, sie wollen Ergebnisse sehen“, so Jun.Uwe Gottwald