Zwischen Neckar und Alb
Pleite für Abellio: Neckartalbahn fährt ins Ungewisse

Insolvenz Die Firma Abellio, die den Zugbetrieb zwischen Tübingen und Stuttgart übernommen hat, ist insolvent. Was bedeutet das für die Pendler? Von Sylvia Gierlichs

Zum kleinen Fahrplanwechsel im Juli 2020 übernahm die Firma Abellio die für das Neckartal so wichtige Bahnverbindung Tübingen–Stuttgart. Mit nicht gelieferten Zügen und Verspätungen auf der Strecke macht das Unternehmen seitdem Schlagzeilen.

Dann änderten sich die Meldungen: „Abellio kämpft gegen die Pleite“, schrieb die Süddeutsche Zeitung im Juli. Strukturelle Probleme im Schienen-Personen-

 

„Egal, welche Lösung kommt,
es muss weitergefahren werden.
Professor Dr. Lucas Flöther
Insolvenzverwalter

nahverkehr seien für die finanzielle Schieflage verantwortlich, teilte das Unternehmen selbst mit. Konkret nennt Abellio gestiegene Kosten, die nicht ausreichend von den Verkehrsverträgen gedeckt seien. Da hatte das Unternehmen mit Sitz in Berlin gerade ein Schutzschirmverfahren beim Amtsgericht Berlin-Charlottenburg beantragt.

Das löste auch in Baden-Württemberg hektische Betriebsamkeit aus. In einer gemeinsamen Pressemitteilung teilten Abellio und das baden-württembergische Verkehrsministerium mit, dass eine Vereinbarung getroffen wurde, die die Fortführung des Betriebes auf den von der Abellio Rail Baden-Württemberg (ABRB) befahrenen Strecken im Stuttgarter Netz und im Neckartal betrifft. Der niederländische Staat als Gesellschafter von Abellio und das Land haben zusätzliches Geld zur Verfügung gestellt. „Der Bahnbetrieb ist mit dieser Regelung mindestens in den kommenden Monaten bis Ende Dezember 2021 vor Ort gesichert“, schreiben Ministerium und Unternehmen.

Seitdem wird mit Volldampf verhandelt, um zur Absicherung des Betreibers bis zum Jahresende eine langfristige Lösung zu erhalten, die auch über den 31. Dezember 2021 gilt. In der Pressemitteilung zeigte sich Verkehrsminister Winfried Hermann zuversichtlich, zum Jahresende einen tragfähigen Weg zu finden, damit der Verkehr auf den Abellio-Strecken weiterlaufen kann, ohne dass es zu Beeinträchtigungen für die Fahrgäste kommt. Oder zu einer Gefährdung der Arbeitsplätze der Abellio-Mitarbeiter.

Am 1. Oktober nun hat das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg offiziell den Schutzschirm über Abellio gespannt. Das heißt, dass die Firma wieder selbst die Lohn- und Gehaltszahlungen der 3100 Mitarbeiter in Deutschland übernimmt. Zuvor war die Bundesagentur für Arbeit eingesprungen.

Derzeit wird Abellio-Geschäftsführer Michiel Noy von dem erfahrenen Restrukturierungsexperten Professor Dr. Lucas Flöther unterstützt, der die Rolle eines Generalbevollmächtigten hat. Flöther war schon als Insolvenzverwalter von Air Berlin tätig und hat die Fluglinie Condor über ein Schutzschirmverfahren saniert. Der Profi weiß: Ein Kompromiss ist das Maß der Dinge: „Oberster Leitsatz ist, dass das Vermögen des Unternehmens nicht zulasten der Gläubiger aufgezehrt werden darf.“ Die Lösung ist also, die Verluste auf null zu reduziert.

Als mittelfristiges Ziel definieren sowohl Verkehrsministerium als auch Lucas Flöther, dass der Verkehr in Baden-Württemberg bis Ende des Jahres aufrechterhalten wird. Doch natürlich bedarf es eines langfristigen Plans. Auch hier sieht Flöther Möglichkeiten: Man könnte entweder die Verkehrsverträge so ausgestalten, dass alle daran beteiligt sind oder den Verkehr auf die Südwestdeutsche Landesverkehrs-AG übertragen –  oder ein dritter Anbieter käme ins Spiel. Das wäre ob der kurzen Zeitspanne eine sportliche Angelegenheit.

Flöther selbst schließt auch weitere Verhandlungen bis Ende März nicht aus. Das würde den Beteiligten ein wenig Luft verschaffen, um eine vernünftige Lösung für Fahrgäste und Mitarbeiter von Abellio zu verhandeln. Eines machte Flöther allerdings deutlich: „Egal, welche Lösung kommt, es muss weitergefahren werden. Ein ,Ob‘ steht nicht zur Debatte.“ Das Verkehrsministerium teilte auf Anfrage ebenfalls mit, man setze alles daran, in den kommenden drei Monaten eine langfristige Lösung für einen stabilen Betrieb im gewohnten Umfang zu finden. „Die notwendigen Trassenbestellungen wurden bei DB Netz ausgelöst und können genutzt werden, unabhängig davon, welches Eisenbahnverkehrsunternehmen schlussendlich im nächsten Jahr mit dem Betrieb beauftragt sein wird“, erklärte das Ministerium. Ein großer Vorteil sei, dass die landeseigenen Fahrzeuge weiterhin zur Verfügung stehen. Auch die Tickets gelten weiterhin.