Berkheimer Anwohner befürchten zu viele Flüchtlinge in ihrem Quartier
Protest gegen Hoffnungshäuser

Esslingen. Die Berkheimer Brühlstraße ist eine ruhige Anliegerstraße: hangabwärts eingeschossige Einfamilienhäuser bis zur Wiesenkante, hang­aufwärts haben die Gebäude ein


Stockwerk mehr. Vor etwa 20 Jahren haben Waltraud und Dieter Zottmann am westlichen Ende der Sackgasse ein Haus gekauft. Mit freiem Blick hinunter ins Tal und – wie sie glaubten – einer unverbaubaren Aussicht. Denn in der Wiese gegenüber „war nie ein Baufenster“, so Dieter Zottmann.

Doch jetzt sind die Anwohner und Nachbarn der Brühlstraße stinksauer auf die Stadt. Genauso wie die Anlieger des Rohrackerwegs am Rand des gemischten Gewerbegebiets ein paar Straßenzüge hangaufwärts. Grund: Die Stadt plant, der Stiftung Hoffnungsträger Grundstücke für drei Hoffnungshäuser zu überlassen – dreigeschossig. Zwei sollen an der Brühlstraße aus dem Boden wachsen, eines am Ende des Rohrackerwegs. In diesen Häusern sollen Flüchtlinge und einheimische Familien und/oder Studenten unter einem Dach leben, betreut von einer Fachkraft. Vormals war von 170 Menschen die Rede, die an diesen Standorten untergebracht werden sollen, darunter maximal 120 Flüchtlinge. Die Stadt sieht sich in der Anschlussunterbringung gewaltig unter Druck. Bis Ende des Jahres muss sie 550 anerkannten Flüchtlingen ein Dach über dem Kopf verschafft haben.

Das alles hatten die Berkheimer Anwohner und ihr Bürgerausschuss nur aus der Zeitung erfahren. Daraufhin bemühten sie sich um mehr Informationen. Doch nach wie vor wissen sie nicht, wie viele Menschen untergebracht werden sollen. So kursieren unterschiedliche Zahlen. Anfangs war von 120 die Rede. „So viele werden es nicht“, betont Sozialbürgermeister Markus Raab.

Die Zurückhaltung ist zwar verständlich – immerhin beschreiten mehrere Anwohner in Berkheim den Gerichtsweg. Doch sie beruhigt nicht gerade die Gemüter. Zumal sich die Anwohner die Pläne besorgt und für die Brühlstraße festgestellt haben, dass dort kaum Familienwohnungen, sondern vor allem Einzelzimmer für ein bis zwei Personen auftauchen.

Kaum Informationen für die Betroffenen aus dem Rathaus, dafür ein rüder Umgangston – diese Klagen ziehen sich wie ein roter Faden durch die vergangenen Wochen: Die Anwohner hatten einen Protestbrief mit 32 Unterschriften ans Rathaus geschickt – keine Antwort, erzählt Gabriele Bayer. Es gab auf Drängen des Bürgerausschusses eine erste Gesprächsrunde mit Sozialbürgermeister Markus Raab, beide Seiten beschreiben sie als extrem unbefriedigend. Die erste offizielle Inforunde ist erst in dieser Woche. Doch die Baugesuche sind durch, in den nächsten zwei Monaten kann es laut Baubürgermeister Willfried Wallbrecht mit dem Bau losgehen.

Das Baurechtsamt sei extrem unsensibel mit den Menschen vor Ort umgegangen, kritisiert auch Aglaia Handler, kommissarische Vorsitzende des Bürgerausschusses und am Rohrackerweg selbst betroffene Anliegerin. Schließlich setze das Konzept ja auf die Integration der Flüchtlinge durch die Nachbarschaft – doch der habe das Rathaus mit seiner miserablen Informationspolitik einen Bärendienst erwiesen. Handler: „Wenn das Konzept der Hoffnungshäuser so toll ist, warum geht man dann nicht in die Offensive? Im Dezember war von zwei Anschlussunterkünften für 63 Personen die Rede. Das wäre auch keinerlei Problem für die Anwohner gewesen“, sagt sie. Im Kern sehen sich die meisten Anwohner um ihr Recht betrogen und im Schnellverfahren vor vollendete Tatsachen gestellt. „Mir hat man damals noch die Farbe der Dachziegel vorgeschrieben“, erinnert sich Dieter Böhm, jetzt würden „heimlich Riesenbauwerke in eine Kleinsiedlung“ verfrachtet, wie es Gerhard Allmendinger formuliert – und Baugrenzen ignoriert.

Wallbrecht verweist auf das Ende 2014 geänderte Baugesetzbuch, das nicht nur Sonderregelungen für die Flüchtlingsunterbringung formuliert, sondern auch Ausnahmen und Befreiungen vom Bebauungsplan zulässt, „wenn Gründe des Wohls der Allgemeinheit, einschließlich des Bedarfs zur Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden die Befreiung erfordern“. Für die Anwohner ist das bitter: „Es kann nicht sein, dass die Stadt jegliche Verträge ignoriert, nur weil es um Flüchtlinge geht“, ärgert sich Waltraud Zottmann. „Wir sind in einer Notsituation“, so Wallbrecht. Man habe im Dezember alle städtischen Grundstücke zusammengekratzt, auf denen man schnell bauen könne. „Ich hatte da keine große Auswahl.“