Zwischen Neckar und Alb

Regionale Genüsse im alten Tanzsaal

Lokalgeschichte Dem Freilichtmuseum wird der Saal der Geislinger „Wilhelmshöhe“ angeboten – Der Kreistags-Ausschuss lässt das nun prüfen. Von Roland Kurz

Zu seinen besten Zeiten feierten im Tanzsaal der Geislinger „Wilhelmshöhe“ bis zu 300 Gäste Hochzeiten, Faschings- und Silvesterbälle. 1893 wurde das Holzgebäude gebaut, seine Zukunft ist unklar. Wird es abgerissen oder erlebt es eine zweite Blütezeit im Freilichtmuseum Beuren? Der Kultur- und Schulausschuss des Kreistags lässt prüfen, ob dieser Saal für das geplante Genusszentrum im Museum geeignet ist. Auch die Kosten sind zu klären. Geschätzte 1,6 Millionen Euro sind nötig für Umsetzung und Wiederaufbau.

Das Museum will in den nächsten zwei Jahren ein „Erlebnis- und Genusszentrum“ einrichten, in dem traditionsreiche regionale Sorten und Lebensmittel präsentiert werden können. Dazu könnte es gut einen neuen Raum brauchen. 45 Kilometer vom Museum entfernt steht in Geislingen das ehemalige Höhenrestaurant „Wilhelmshöhe“ mit einem hölzernen Nebengebäude für große Festivitäten. Vergangenen Sommer hat Inge Hafner, Wirtstochter und frühere Altenhilfe-Fachberaterin im Landratsamt, das Anwesen an einen Notar verkauft. Der baut das Hauptgebäude, das teilweise einem Museum ähnelt, derzeit zu Büroräumen um. Für den Tanzsaal hat er keine Verwendung.

Der Saal ist noch älter als die 1903 gebaute Gaststätte selbst. Bereits 1893 hat der Bierbrauer Georg Hafner einen Gartensaal mit 120 Quadratmetern Fläche erbaut. Rund 1 000 Menschen hatten darin und im umgebenden Biergarten Platz. Der Erfolg ermutigte den Gastwirt, seine Wirtschaft in der Stadt aufzugeben und oben am Hang neben den Saal zu bauen. Inge Hafner hat ein Heft aufbewahrt, in dem Zeitungsannoncen aus den 30er-Jahren vom bunten Treiben auf der „Wilhelmshöhe“ kund tun: Gesellschaftsabende, Kappenabende, das Gartenkonzert mit der renommierten Tanzkapelle Fritz Russ, Italienische Nacht, Rheinischer Abend, Winzerfeste, Silvesterfeiern. „Wenn der Fritz Russ gespielt hat, wurden die Fenster geöffnet und die ganze Stadt beschallt“, so erinnert sich Inge Hafner an eine Erzählung ihrer Eltern. Die haben 1937 den Saal auf 250 Quadratmeter erweitert und die Front zum Tal hin verglast. Getanzt wurde auf einem Boden aus Pitchpine, das als härtestes Nadelholz der Welt gilt. Das Ausflugslokal war damals auch ein Ferienziel für Düsseldorfer und Berliner, die bei der nationalsozialistischen Reiseorganisation KDF eine Woche Wandern am Rand der Schwäbischen Alb buchten. Ab 1939 gab es weniger Grund zum Feiern, der Gartensaal wurde beschlagnahmt und als Getreidelager genutzt.

In den 1950er-Jahren war der Tanzsaal wieder gefragt. „Da war eine große Sehnsucht, jedes Wochenende wurde getanzt“, erinnert sich Inge Hafner, die als kleines Mädchen die Gäste an ihren Platz geleitete. Als die Zeit der großen Bälle vorüber war, zog 1978 für einige Jahre ein Fitness-Studio in den Saal. Die Gaststätte betrieb Willy Hafner bis 1998, wenn auch nur noch wenige Tage im Monat.

Ist der Tanzsaal nun ein Glücksfall fürs Beurener Museum? Dessen Leiterin Steffi Cornelius hält sich ziemlich bedeckt. Für ein „Haus der Sortenvielfalt“ benötigt sie ein eigenständiges Gebäude. Dies könnte zwar auch ein bisher nicht genutztes Ausstellungsgebäude sein. Es muss aber Platz für die zentrale Dauerpräsentation haben und einen Aktionsbereich mit Schauküche bieten. Sollte es der geräumige Geislinger Saal werden, wäre noch eine Ecke zur Hausgeschichte sinnvoll. Platz genug für ein neues Gebäude habe sie auf ihren elf Hektar, meint Cornelius.

Die Kreisräte wollten vergangenen Donnerstag im nicht öffentlichen Teil des Kulturausschusses nicht so ohne Weiteres grünes Licht für die teure Umsetzung geben. Hans Weil, seit einem Jahr Vorsitzender des Fördervereins Freilichtmuseum, versucht, seinen Kollegen im Kreistag die Entscheidung zu erleichtern. Einen Zuschuss über 200 000 Euro habe er mit dem Vorstand schon abgesprochen, es fehle nur der formale Beschluss. Der frühere Köngener Bürgermeister ist zuversichtlich, noch weitere Quellen erschließen zu können. Dem Museumsbetrieb tue auf jeden Fall ein neues „Leuchtturm-Projekt“ gut, meint Weil.