Zwischen Neckar und Alb

Schlussakt im „Finanztheater“

Mehreinnahmen vor Weihnachten stiften Haushaltsfrieden im Kreistag – Umlage sinkt auf 32,5 Prozent

Mehr Spielraum, weniger offene Fragen: Der Esslinger Kreistag hat gestern den Haushalt für 2016 beschlossen. Ein guter Tag vor allem für die Kommunen im Landkreis. Anders als im Etatentwurf vorgesehen, sinkt die Kreisumlage auf 32,5 Prozentpunkte. Den niedrigsten Stand seit 20 Jahren.

Ankunft neuer Flüchtlinge, Kreissporthalle auf dem Säer, Flüchtlingsunterkunft, Notunterkunft,
Ankunft neuer Flüchtlinge, Kreissporthalle auf dem Säer, Flüchtlingsunterkunft, Notunterkunft,

Esslingen. Der 14. Dezember 1995 war, wenn man so will, ein historischer Tag. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landkreises Esslingen beschloss der Kreistag einen Etat auf Pump, verweigerte dem damaligen Landrat Hans-Peter Braun die Gefolgschaft auf dem Weg zu einem ausgeglichenen Haushalt. Für die Kreisparlamentarier lag die Schmerz­grenze in Sachen Kreisumlage bei 32,5 Prozent. Ein Allzeithoch zu diesem Zeitpunkt und trotzdem knapp vier Prozentpunkte unter dem, was die Verwaltung gefordert hatte. Von einem politischen Signal war die Rede. Die Themen damals: Explodierende Sozialausgaben, die Flüchtlingskrise als Folge des Balkankrieges, die Einführung der zweiten Stufe der Pflegeversicherung. In Zahlen: 60 Millionen Mark Neuverschuldung.

In der Debatte um den Haushalt 2016 dreht sich erneut alles um das Thema Flüchtlinge, und wieder sollte von der Kreisumlage ein politisches Signal ausgehen. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Getreu diesem Motto ging Landrat Heinz Eininger Anfang Oktober in die Etatverhandlungen. Sein Grundsatz: Solange die Landesregierung nicht den vollen Kostenersatz bei der Unterbringung der Flüchtlinge garantiert, wird veranschlagt, was auf dem Tisch liegt. Nach Einingers damaliger Rechnung: eine Erhöhung der Kreisumlage auf 35,6 Prozent. Ein Schritt, der allein die Stadt Kirchheim eine knappe Million Euro gekostet hätte. Gegebenenfalls, so der Landrat werde im Dezember eben nachjustiert.

Eine Risikoklausel, auf die viele Kollegen in anderen Kreisen verzichtet hatten, schließlich mussten die Kommunen auf Grundlage dieses Hebesatzes ihren eigenen Haushalt berechnen. Die Kritik an Einingers Vorgehen ließ nicht lange auf sich warten, denn schon wenige Tage nach der Haushaltseinbringung war klar: Alles nur politisches Geplänkel. Stuttgarter Regierung und kommunale Verbände hatten sich wie erwartet geeinigt. Das Land übernimmt die Kosten für die Erstunterbringung vollständig. Damit bekommt der Kreis die 3,5 Millionen Euro überwiesen, die bisher ausstanden. Weil gleichzeitig die Wirtschaft auf Hochtouren läuft, kann zudem mit Mehreinnahmen gerechnet werden, die den Überschuss auf rund zehn Millionen Euro anwachsen lassen. Das ergaben jüngste Steuerschätzungen. Dadurch entspannt sich nicht nur die Lage gegenüber dem Planansatz im Oktober deutlich, damit ist auch die Umlageerhöhung vom Tisch. Mehr noch: Im Finanzausschuss wurde hinter verschlossenen Türen längst über eine Senkung auf 32,5 Prozentpunkte verhandelt, die gestern auch die Zustimmung aller Fraktionen fand. Lediglich die Gruppe Republikaner plädierte für eine Anhebung auf 34,5 Prozen, um weiteren Schuldenabbau zu betreiben.

Die Kreisumlage sei für die Kommunen ein zu sensibles Instrument, um Politik gegenüber dem Land zu machen, kritisierte Grünen-Fraktionschefin Marianne Erdich-Sommer die Verwaltung und sprach von „Finanztheater.“ Erdrich-Sommer: „Die Stadtkämmereien mussten ihre eigene Wahrheit finden, um hinterher festzustellen: alles nur Bluff.“ Von einem falschen Signal sprach auch die Fraktionschefin der SPD, Sonja Spohn. Der Landrat hingegen verteidigte seine Haltung. „Hier ging es nicht um Vertrauen oder Misstrauen gegenüber politischen Zusagen,“ stellte Eininger fest. „Hier ging es darum, die berechtigten Interessen des Landkreises wahrzunehmen.“

„Ende gut, alles gut“, so das Fazit des Fraktionssprechers der Freien Wähler, Rainer Lechner. Schließlich verschafft die jetzt beschlossene Umlagensenkung den Kommunen eine Entlastung um mehr als 20 Millionen Euro gegenüber der Entwurfsfassung. Trotzdem bleibt der Kreis in der Lage, in geringem Maße Schulden abzutragen und erste Raten für künftige Großinvestitionen zu tätigen. 25 Millionen Euro sind unter anderem für Sanierungs- und Baumaßnahmen an Gebäuden, den Unterhalt der Kreisstraßen, oder für den Ausbau des Nahverkehrs vorgesehen.

Viele Großprojekte wie der Landratsamts-Neubau oder die Sanierung von Schulsporthallen sind im Finanzplan noch gar nicht enthalten. FW-Sprecher Rainer Lechner ließ daher durchblicken, dass ein außerplanmäßiger Schuldenabbau mit seiner Fraktion in naher Zukunft nicht zu machen sei, sollte die gute Finanzlage anhalten. Dringende Investitionen, allen voran der Neubau der Nürtinger Albert-Schäffle-Schule, habe in den kommenden Jahren Vorrang, sagte Lechner.

Schlussakt im „Finanztheater“
Schlussakt im „Finanztheater“

Das Geld ist da

Lautes Trommeln, schnell verhallt. Botschaften, die als politisches Signal verstanden werden sollen, sind selten von langer Wirkkraft. Der Etatentwurf, den der Esslinger Landrat Heinz Eininger vor Wochen im Kreistag vorgelegt hat, war so ein Signal. Es sollte zeigen, wo die Risiken liegen, wenn das politische Tagesgeschäft beim Thema Flüchtlinge den Realitäten im Alltag hinterherhinkt. Wenn dabei auch parteipolitische Färbung eine Rolle spielt, gerät der Warnruf umso lauter. Was, so die Botschaft, wenn Grün-Rot im Land sich aus der Verantwortung stiehlt und der Kreis zumindest auf einem Teil der Kosten für die Flüchtlingsunterbringung sitzen bleibt?

Er bleibt es nicht, und das aus zweierlei Gründen: Das Thema ist zu ernst für faule Tricks. Bund, Länder und Kommunen sind in der Asylfrage über parteipolitische Grenzen hinweg aufeinander angewiesen. Auch in Wahlkampfzeiten. Der zweite Grund: Dieses Land kann es sich finanziell schlicht leisten. Die Steuerquellen sprudeln, die Wirtschaft brummt, es gibt mehr Jobs als Arbeitskräfte, und sollten nicht alle Wirtschaftsexperten irren, wird sich daran auch 2016 nicht viel ändern.

Es stimmt, dass nicht die Zahl der Menschen, die hierher kommen, das Problem darstellt, sondern die schwindende Zeit, die bleibt, sie angemessen unterzubringen. Das Geld ist da. Es wirksam einzusetzen ist im bevorstehenden Wahljahr Aufgabe der Politik auf allen Ebenen. Für bessere Betreuung, schnellere Integration, mehr Wohnraum und mehr Personal, um Asylverfahren endlich zu beschleunigen. Damit auch Weihnachten 2016 der Satz gilt: Wir schaffen das.BERND KÖBLE