Zwischen Neckar und Alb

Schöne Geschichten statt heißer Luft

Kultur Der mobile Friseursalon der Kultur-Region Stuttgart hat in der Plochinger Fußgängerzone Station gemacht. Dort ließen sich zahlreiche Passanten bereitwillig unter die Haube bringen um zuzuhören. Von Claudia Bitzer

Oben: Natalie Lang von der Kultur-Region Stuttgart (Mitte) erklärt ihren Gästen vor dem mobilen Salon, wie die Texte unter die T
Natalie Lang von der Kultur-Region Stuttgart (Mitte) erklärt ihren Gästen vor dem mobilen Salon, wie die Texte unter die Trockenhauben gekommen sind. Foto: Roberto Bulgrin

Waschen, schneiden, legen? Nicht im Pop-Up-Salon der Kultur-Region Stuttgart, der in der Plochinger Fußgängerzone vor der PlochingenInfo seine Tür geöffnet hatte. Auf die Kundschaft warten statt heißer Luft jeweils zwei bis drei Minuten lange Geschichten aus dem Leben von Menschen aus der Region - ins Ohr geblasen von sechs knallbunten Trockenhauben. Die Autoren Christian Müller, Simon Kubat und Jonas Bolle haben notiert, was ihre 30 Gesprächspartner zu erzählen hatten. Und verschiedene Profi-Sprecher und -Sprecherinnen haben das Geschriebene dann vertont. In den „Geschichten unter der Haube“ geht es um die wesentlichen Dinge des Lebens - natürlich um die Liebe, aber auch um die Arbeit. Sie sind in einer 90-minütigen Dauerschleife unter den Hauben des nachempfundenen Friseursalons im Retro-Look zu hören.

Helmut Schober und Margarete Schwab gehörten zu den ersten Gästen in dem umgerüsteten Bauwagen, die sich unter die bunten Krups-Originale aus einer anderen Zeit trauten. Schober hat sich die Erzählung eines Mannes angehört, der vor Jahrzehnten eigentlich nur als Besucher ins viel gepriesene Deutschland kam. Und dann als sogenannter Gastarbeiter trotz anfänglichen Widerwillens doch sein Glück mit dem Haareschneiden seiner Landsleute und Frieden mit der neuen Heimat gemacht hat. Schober: „Das war wirklich interessant.“

Unter Margarete Schwabs Haube wurde die Geschichte eines anderen Mannes erzählt, der aus seinen Zeiten als Pfadfinder von einem Zeltlager am Bodensee berichtete. Das rief Erinnerungen wach. „Auch wir wollten damals an den Bodensee radeln. Gleich bei unserem ersten Halt auf der Alb fiel das Mittagessen aus, weil wir den Dosenöffner vergessen hatten“, erinnerte sich Margarete Schwab, was ihr einst passiert ist.

So soll es sein. Die Geschichten sollen berühren und unterhalten. Sie sollen eigene Geschichten zum Klingen bringen, vielleicht sogar ein Gespräch mit anderen Salongästen einläuten. „Aber meistens erzählen die Besucher mir dann ihre Geschichte“, berichtet Natalie Lang, die für die Kultur-Region als Gastgeberin auftritt. Und wer will, kann seine eigene Geschichte den Kultur-Region-Leuten entweder per Whats-App oder Mail schicken oder in den Briefkasten des Salons werfen.

Die Stadt am Neckarknie ist bereits die 13. Station des Pop-Up-Salons - ein Projekt, mit dem die Kultur-Region Menschen aus der Region zu Wort kommen lassen wollte. Zehn weitere werden noch folgen. Und wo erzählen sich Menschen heutzutage noch aus ihrem Leben? „Über Wartezimmer und Küchen kamen wir zu dem Frisiersalon“, so Bettina Pau, Geschäftsführerin der Kultur-Region. Mehr als 60 Stunden haben die Autoren Christian Müller, Simon Kubat und Jonas Bolle mit den 30 Menschen aus 24 Orten im Raum Stuttgart gesprochen. Sie führten präzise Statistiken: 89 Tassen Kaffee tranken sie dabei und verzehrten 27 süße Stückle. Den Kontakt zu ihren Gesprächspartnern hatten die Kommunen geknüpft.

Die meisten kommen gezielt

Doch die Schwaben sind ja eigentlich ein zurückhaltendes und schaffiges Völkchen. Wie also gelingt es, sie vor Ort für ein paar Minuten unter die Haube zu bringen, um Geschichten von anderen Leuten über andere Leute anzuhören? „Die meisten kommen schon ganz gezielt, weil sie aus der Presse oder der Landesschau von unserem Projekt gehört haben“, weiß Natalie Lang. Besonders gut sei es in Schorndorf angekommen: Die Remstal-Gartenschau habe für Salonbesucher und vor allem -besucherinnen gesorgt, die auf Kurzweil aus waren und Zeit hatten. Aber auch in Plochingen ist man zuversichtlich: „Als der umgerüstete Bauwagen installiert worden ist, hat er schon für Aufsehen gesorgt“, freut sich Kulturamtsleiterin Susanne Martin, dass ihre Stadt nach der Kunstaktion von Swaantje Güntzel im Vorjahr im Plochinger Hafen auch für dieses Kultur-Region-Projekt Anlaufstelle ist.

Info Der Pop-Up-Salon der Kultur-Region Stuttgart kommt vom 10. bis 12. September nach Nürtingen, dort auf den Vorplatz der Stadthalle K3N. Später macht er noch einmal im Verbreitungsgebiet Station: Vom 2. bis 6. Oktober steht er in Kirchheim vor dem städtischen Museum im Kornhaus in der Max-Eyth-Straße 19.

foto: roberto bulgrin15. 08. 2019Plochingen: Mobiler Friseur-Salon macht Halt in Plochingen erzaehlt Geschichten von Menschen de
Hier gibt es keine langwierige Dauerwelle, sondern kurzweilige Geschichten. Natalie Lang sorgt dafür, dass die sprechende Trockenhaube bei Helmut Schober bequem sitzt. Foto: Roberto Bulgrin