Zwischen Neckar und Alb

„Schreiben ist, wie einen Dialog mit sich selbst zu führen“

Literatur Der Schriftsteller Olaf Nägele schickt seinen schwäbischen Pfarrer Goettle bereits zum dritten Mal auf eine unkonventionelle Verbrecherjagd. Von Gaby Weiß

Er hat seine Stammleserschaft: Olaf NägeleFoto: Roberto Bulgrin
Er hat seine Stammleserschaft: Olaf Nägele Foto: Roberto Bulgrin

Gut gezeichnete Protagonisten, ein spannender Plot mit gesellschaftskritischem Anliegen, schräger Humor und ein satirischer Ton - zum dritten Mal lässt Olaf Nägele in „Goettle und das Kindle vom Bussen“ seinen unkonventionellen Pfarrer Andreas Goettle im schwäbischen Biberach ermitteln. Im Interview steht der Esslinger Autor des Regionalkrimis Rede und Antwort zum Thema Recherche sowie Schreibtischarbeit, und er erklärt den besonderen Reiz von Kriminalgeschichten.

Als Motto über Ihrer Webseite steht: „Schreiben ist, wie einen Dialog mit sich selbst zu führen. Und darauf zu hoffen, dass der Gesprächspartner gut gelaunt ist.“ Welche Laune hatten Sie denn beim Schreiben des dritten Goettle-Krimis?

Olaf Nägele: Wenn es mir gelingt, der fiesen Bestie „Innerer Schweinehund“ einen Maulkorb anzulegen und ich den Verlockungen anderer, oftmals unsinniger Tätigkeiten widerstehen kann, dann bin ich eigentlich beim Schreiben bester Dinge. Und sollte noch ein Rest Widerborstigkeit vorhanden sein, dann schaffen es meist meine Figuren, mich in den Bann zu ziehen.

Schildern Sie unseren Lesern kurz, was es mit dem „Bussenkindle“ auf sich hat?

Nägele: Es handelt sich dabei um einen Wunderglauben. Der Bussen ist der höchste Berg in Oberschwaben und wird von einer Kirche gekrönt, die schon seit dem 16. Jahrhundert als Wallfahrtsort gilt. Bereits zu Zeiten der Kelten wurden dort Fruchtbarkeitsopfer erbracht, und auch heute pilgern kinderlose Paare zum Bussen, um für Kindersegen zu beten.

Wie exakt planen Sie einen Roman, und wie viel Freiheit lassen Sie sich, auch mal abzuschweifen?

Der Ablauf eines Krimis ist eigentlich immer ähnlich: Es passiert etwas Schreckliches und am Ende sollte der Fall gelöst sein. Die Kunst ist es, den Leser auf Fährten zu locken und ihn am Ende zu überraschen. Oder ihn immer mehr zu schockieren. Dabei ist der Leser den Polizisten immer ein Stück voraus, das heißt, er beobachtet, ob Hauptkommissarin Greta Gerber und ihr Team die richtigen Schritte einleiten. Und natürlich gibt es da noch Goettles Position. Was macht er? Wie trägt er zur Lösung des Falles bei? Das klingt sehr nach Planung, aber Umwege ergeben sich dabei immer wieder. Man muss nur aufpassen, dass man die Umwege wieder in die Geschichte zurückführt.

Was macht für Sie den besonderen Reiz von Kriminalliteratur aus?

Ich vergleiche die Arbeit an einem Krimi gern mit einem Puzzlespiel. Hier ist die Tat, da ist der Täter, drum herum sind die Verdächtigen. Meist ist es so, dass alle Verdächtigen ein Motiv für die Tat haben könnten. Nur einer hat eben ein stärkeres als alle anderen. Das gilt es herauszufinden. Das heißt, ich muss als Autor tief in die Biografie meiner Figuren eintauchen. Ich muss die Tatverdächtigen mit Eigenschaften ausstatten, die mir zum Teil zuwider sind. Sie sind brutal, verlogen, kennen keine Skrupel. Sie sind gierig, schmierig, hinterhältig, gemein und böse, sie benutzen andere, um ihre Ziele zu erreichen. Aber niemand ist so ohne Grund. Irgendein Umstand im Leben hat sie zu dem gemacht, was sie heute sind. Auch das gilt es herauszufinden. So entstehen verschiedene Handlungsstränge, die ich miteinander verbinden muss. Und wenn alle Teile passen, ist das Puzzle komplett und der Fall gelöst.

Ihre Protagonisten sind diesmal im Pfarrhaus, im Polizeirevier, in einer Seniorenresidenz, im Darknet, in einer Kinderwunschklinik und im Aphrodite Club unterwegs - haben Sie überall dort recherchiert?

Ja und nein. Einige Orte muss ich schon aufsuchen. Das macht ja den Reiz von Regionalkrimis aus, dass die Leser die beschriebenen Orte kennen. Allerdings muss ich gestehen, dass ich in Biberach oftmals städteplanerisch zu Werke gehe. Wenn kein Gebäude zu meinen Vorstellungen passen will, dann baue ich eines oder widme ein vorhandenes um. Das heißt, die Adressen gibt es dann wirklich, nur könnte es sein, dass der neugierige Leser, der sich auf die Suche nach dem Aphrodite Club begibt, vor einer Maschinenbaufirma steht.

In „Goettle und das Kindle vom Bussen“ gibt es einen abgetrennten Kopf in einer Plastikbox, ein Säugling wird entführt, und ein übler Brandstifter schlägt zu. Wie grausam darf ein Regionalkrimi sein?

Das ist eine schwierige Frage. Im Grunde lese ich fast jeden Tag in der Tageszeitung über Grausamkeiten, also könnte man sagen, dass ein Krimi offensichtlich so eine Art Abbild der Wirklichkeit ist. Freilich werden Konflikte überhöht, um Spannung zu erzeugen. Das scheint mir dieses Mal ganz besonders gelungen zu sein, denn einige meiner Stammleser sehen mich seit dem Erscheinen des dritten Goettle-Krimis ganz seltsam an, gehen mir sogar aus dem Weg (lacht). Dabei bin ich nicht angetreten, um eine besonders grausame Geschichte zu erzählen. Die einzelnen Stränge haben sich in diese Richtung entwickelt, ich bin also eigentlich ein Opfer meiner Geschichte.

Wie schafft man es, sich in die bösen Buben hineinzuversetzen, wenn man eigentlich ein ganz freundlicher Zeitgenosse wie Olaf Nägele ist?

Womöglich ist der freundliche Zeitgenosse nur eine Fassade? Nein, im Ernst. Ich denke, ich verfüge über ein hohes Maß an Empathie - das heißt, ich kann mich in viele Menschen gut hineinversetzen - versuche Handlungsmuster zu erklären. Und dann gibt es natürlich gute Bücher, die das Verhalten böser Buben erklären und es soziologisch oder psychologisch herleiten.

Die Leser wollen wissen, was mit Goettle und Kommissarin Gerber noch alles passiert. Die beiden sind Ihnen doch ans Herz gewachsen?

Ganz ehrlich: Ich mag alle meine Figuren, die guten wie die bösen. Die guten ein wenig mehr, die kenne ich ja auch schon länger. Ich bin sehr gespannt, wie es mit ihnen allen weitergeht.