Zwischen Neckar und Alb

Schuldenberg mit einer Nebelhaube

Landkreis Die gewaltigen Bauvorhaben in den kommenden Jahren bestimmen die Debatte um den Haushalt im Esslinger Kreistag. Von Bernd Köble

Alt und Neu nebeneinander: Der grüne Verwaltungskomplex des Esslinger Landratsamtes aus den siebziger Jahren soll 2021 verschwin
Alt und Neu nebeneinander: Der grüne Verwaltungskomplex des Esslinger Landratsamtes aus den siebziger Jahren soll 2021 verschwinden und einem Neubau Platz machen.Foto: Jean-Luc Jacques

Das Investitionsprogramm für die kommenden Jahre ließe sich - salopp ausgedrückt - als sportlich bezeichnen. Dazu passte, dass der Kreistag seine Debatte über den kommenden Haushalt gestern vom Plenarsaal in Esslingen in die Sporthalle nach Wolfschlugen verlegte. Um im Bild zu bleiben: Es war ein ereignisarmes Spiel ohne allzuviele Fouls.

Politik ohne Polemik und hitzige Wortgefechte ist zuverlässiges Indiz für einen Mangel an Alternativen. Beim Neubau des Esslinger Landratsamtes, dem gewaltigsten Investitionsvorhaben im Landkreis in den kommenden Jahren, geht es kaum mehr darum, ob gebaut wird, sondern allenfalls wie. Die Kosten von geschätzt 170 Millionen Euro für den Neubau in Esslingen und ein zusätzliches Verwaltungsgebäude beim Plochinger Stumpenhof werden vermutlich noch jahrzehntelang ihre Spuren im Haushalt hinterlassen, zumal dies nicht die einzigen Großprojekte im Kreis sind. Mit der Sanierung der Esslinger Rohräckerschule bis 2020, dem Neubau der Albert-Schäffle-Schule in Nürtingen oder dem Sporthallen-Neubau am Berufsschulzentrum in Esslingen-Zell hat der Kreis weitere Großprojekte am Laufen. 50 Prozent der Investitionen im Haushalt fließen 2019 in Schule und Bildung. Alles zusammengenommen rechnet die Kreiskämmerei mit Investitionsausgaben von bis zu 290 Millionen Euro in den nächsten sieben Jahren. Die Gesamtverschuldung soll im selben Zeitraum von bisher 173 Millionen auf über 230 Millionen Euro steigen.

CDU und Grüne für Kurswechsel

CDU und Grüne fordern deshalb einen Kurswechsel in der Finanzpolitik, um den drohenden Schuldenberg nicht in den Himmel wachsen zu lassen. Erst im Dezember vergangenen Jahres hatten sich die Freien Wähler mit Unterstützung von SPD und FDP mit ihrer Forderung durchgesetzt, nur 60 Prozent der Überschüsse im Ergebnishaushalt für künftige Investitionen anzusparen. Die restlichen 40 Prozent sollten zur Senkung der Kreisumlage herangezogen werden, die die 44 Städte und Gemeinden im Kreis zu zahlen haben.

Davon wollen sich CDU und Grüne nun verabschieden. Es gehe darum, für künftige Zinsanstiege gewappnet zu sein, betonte Fraktionschef Martin Fritz und forderte ebenso wie Grünen-Chefin Marianne Erdrich-Sommer, Überschüsse künftig vollständig für Investitionen auf die hohe Kante zu legen. Die Grünen fordern zudem ein Finanzierungskonzept, das alle Risiken mit berücksichtigt. „Wir bauen für die nächsten 50 Jahre“, sagte Erdrich-Sommer, die beim Bau des neuen Landratsamtes das Kompetenzzentrum Gebäudebegrünung und Stadtklima an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen in die Planung einbeziehen will. FW-Fraktionschef Bernhard Richter schlug vor, die günstigen Konditionen im Moment zu nutzen, um sich mit „einem oder mehreren Bausparverträgen“ längerfristig niedrige Darlehenszinsen zu sichern. Ohne kräftige Neuverschuldung wird es nicht gehen, das weiß auch Richter. „Die 170-Millionen-Marke werden wir wohl deutlich reißen,“ meinte er mit Blick auf die vom Regierungspräsidium festgelegte Schuldengrenze.

Bis auf die Republikaner bekannten sich gestern sämtliche Fraktionen im Kreistag zu den Investitionsplänen für die kommenden Jahre. Rep-Sprecher Ulrich Deuschle hält die Entscheidung für falsch: „Ein solcher Bau in Zeiten von Hochkunjunktur sei Verschleuderung von Steuergeldern, sagte Deuschle.

Den Seitblick wahren

Risiken zu kalkulieren und plausibel einzupreisen, wo es um horrende Summen und lange Zeiträume geht, gehört inzwischen zum Schwierigsten, was Wirtschaft und politisches Tagesgeschäft an Aufgaben zu bieten haben. Dass Politik und Verwaltung im Landkreis die Leichtigkeit abhanden kommt, mit der sinnvolle Bauvorhaben zuweilen beraten, geplant und auf den Weg geschickt wurden, ist leicht zu erklären. Mehr als eine Viertelmilliarde Euro will der Kreis bis 2025 an Investitionen schultern. Das ist eine Summe, die es so bisher nicht gab. Investitionen in moderne Arbeitsplätze, in bessere Verkehrswege und eine zukunftsfähige berufliche Bildung.

Wenn nicht jetzt, wann dann? Die Zeiten für mutige Projekte waren selten besser. Die Steuerquellen sprudeln, die Zinsen sind historisch niedrig, der Konjunkturmotor brummt. Und trotzdem wissen alle: Ewig wird das so nicht bleiben. Erste Anzeichen, dass die Musik auf der Party leiser wird, gibt es bereits. Experten sprechen nicht von Rezession, aber von deutlichen Dellen, die sich abzeichnen.

In der Kreispolitik wird es in den kommenden Jahren deshalb umso wichtiger sein, dass nicht nur Bagger rollen, sondern auch Geld fließt in Bereiche, die auf lange Sicht das Sozialsystem entlasten und dafür sorgen, dass Menschen selbstbestimmt in Lohn und Brot kommen. Bei Hilfen für Randständige oder bei der Integration von Migranten, die in vielen Berufsbereichen dringend gebraucht werden. Kurz gesagt: Hilfen für all jene, die vom Wirtschaftsboom der vergangenen Jahre wenig mitbekommen haben.