Zwischen Neckar und Alb

Sexuelle Übergriffe früher erkennen

Unterstützung „Kompass“, die Beratungsstelle bei sexualisierter Gewalt, legt ihren Jahresbericht vor. Im Vordergrund steht vor allem Prävention. Von Sabrina Kreuzer

Die Beratungsstelle „Kompass“ setzt auf Prävention, um sexuelle Gewalt zu verhindern. Foto: Carsten Riedl
Die Beratungsstelle „Kompass“ setzt auf Prävention, um sexuelle Gewalt zu verhindern. Foto: Carsten Riedl

Mit der „MeToo“-Debatte im Jahr 2017 wurde die Diskussion um sexuelle Übergriffe neu befeuert: In sozialen Netzwerken wird seither auf sexuelle Belästigung aufmerksam gemacht. Laut Angelika Hutt-Schönwald, Leiterin der Beratungsstelle „Kompass“ in Kirchheim, führe das dazu, dass immer mehr Einrichtungen auf Vorbeugung setzten.

Im Oktober 2017 war publik geworden, dass der Filmproduzent Harvey Weinstein mehrere Frauen sexuell belästigt, genötigt und vergewaltigt haben soll. Mit dem Schlagwort „MeToo“ (zu Deutsch: Ich auch) zeigen seither Menschen auf der ganzen Welt über soziale Medien Mitgefühl und ermutigen Opfer sexueller Gewalt, sich gegen ihre Peiniger zu stellen.

Die Debatte wirkt sich auch auf die Arbeit der Beratungsstelle „Kompass“ aus. „Wir haben zwar nicht erlebt, dass mehr Menschen deswegen zu uns kommen“, sagt Leiterin Angelika Hutt-Schönwald. „Aber wir bekommen viel mehr Anfragen von Institutionen.“ Es gehe überwiegend darum, wie die jeweilige Klientel durch Prävention und Handlungsleitfäden geschützt werden kann. Dazu gehöre erst einmal eine Analyse: „Wir schauen, was strukturell verändert werden kann, damit dem Missbrauch nicht zugearbeitet wird.“ Dazu gehöre beispielsweise die Anpassung von Hierarchien. „Bei starken Hierarchien ist es unwahrscheinlicher, dass betroffene Kinder sich über einen Vorfall äußern“, so die Kinder- und Jugendlichentherapeutin.

In der Beratungsstelle werden überwiegend Kinder und Jugendliche ab zehn Jahren beraten. In den vergangenen beiden Jahren waren das insgesamt 265. Jüngere betroffene Kinder seien oft bereits in psychischer oder kindertherapeutischer Behandlung. In diesen Fällen setzt „Kompass“ den Schwerpunkt auf die Arbeit mit ihren Bezugspersonen und den betreuenden Fachkräften.

„Bezugspersonen sind alle, die in irgendeiner Weise im näheren Umfeld der Betroffenen sind“, erklärt Hutt-Schönwald. „Dazu zählen in erster Linie die Eltern, aber auch Stiefeltern, Oma und Opa, die Nachbarin oder eine Tagesmutter.“ Zu Fachkräften zählen die Personen, die über einen professionellen Kontext Kontakt zu Betroffenen haben. Das können Erzieher, Lehrer, Sozialarbeiter und -pädagogen, aber auch Lehrer sein.

Den Fachkräften rät die Therapeutin, auch zu „Kompass“ zu kommen, wenn kein konkreter Hinweis auf einen sexuellen Übergriff besteht. „Wir schauen uns den Fall in Ruhe an und können dann beurteilen, ob die Sorge begründet ist oder nicht“, so Hutt-Schönwald. In der Beratung können Tipps für weitere Recherchen gegeben werden: „Die Frage ist oft, ob die Auffälligkeiten mit etwas anderem zu tun haben könnten.“ Oftmals seien Veränderungen zu Hause, wie eine Scheidung der Eltern, der Grund dafür, dass Kinder sich plötzlich anders verhalten als bisher.

Den meisten Fachkräften läge jedoch ein konkreter Hinweis vor. In diesen Fällen gehe es in der Beratung meist darum, wie sowohl mit dem Opfer als auch mit dem Beschuldigten umgegangen werden kann und welche Schritte als Nächstes nötig sind. „Manchmal ist es ein längerer Prozess, weil wir in einem Gespräch nur erste Schritte besprechen können, bevor dann Weiteres geplant werden kann“, sagt Hutt-Schönwald.

Arbeit wird nicht weniger

Aufgrund des Ausscheidens eines Kollegen und der damit verbundenen Unterbesetzung reduzierte sich die Anzahl der Beratungskontakte im Jahr 2018 auf 361 - im Vorjahr waren es noch 789. „Aber auch in Unterbesetzung konnten wir alle Anfragen bedienen“, versichert Hutt-Schönwald. Die Arbeit sei in den vergangenen zwei Jahren nicht weniger geworden, nur die Häufigkeit der Beratung habe eingeschränkt werden müssen: „Anstatt einer wöchentlichen Beratung war beispielsweise nur ein Termin alle zwei Wochen möglich.“

„Kompass“ bietet Beratung für alle Menschen bis zum vollendeten 26. Lebensjahr an. „Leider können wir Ratsuchenden über 27 Jahre ohne Kinder im Haushalt nur bis zu drei Orientierungsgespräche anbieten“, so die Therapeutin. Daran habe sich trotz der Vollbesetzung nichts geändert. Für Erwachsene über 27 Jahre, die mit einem Kind im Haushalt leben, sind bis zu 25 Beratungsstunden pro Fall eingeplant. Bei einem Termin alle zwei Wochen könne man so schon ein Jahr Hilfestellung geben, so Hutt-Schönwald.