Viele fragen sich, was es mit dem mit Planen überzogenen Quader an der Autobahnanschlussstelle Wendlingen auf sich hat. Fehlt bloß noch die rote Schleife, und das Weihnachtspäckchen ist perfekt, sagen die einen. Andere sehen darin ein Werk des verstorbenen Künstlers Christo. Tatsächlich steckt darunter ein 820-Tonnen-Stahlkoloss, über den künftig die Züge rauschen werden.
Beim Umbau für den begegnungsfreien Verkehr an der Autobahnanschlussstelle Wendlingen und dem Neubau für die Hochgeschwindigkeitsstrecke Stuttgart-Ulm gilt es Einiges zu koordinieren. Bereits zweimal musste an dieser Stelle übers Wochenende die Bundesstraße 313 teilweise gesperrt werden, um die Stahlträger und Betoneinzelteile für die neue Autobahnbrücke einzuheben. Parallel zu dieser Brücke verläuft künftig die ICE-Strecke. Insgesamt fünf Eisenbahnbrücken werden benötigt, damit der ICE das Autobahnkleeblatt in Wendlingen - mit seinen Querungen wie der B 313 - passieren kann. Eine davon, die größte mit einer Spannweite von 52 Metern und einer Breite von 14,75 Metern, wird derzeit aus etwa 30 Einzelteilen unter einer gigantischen Zeltplane zusammengeschweißt. „Da die Eisenbahnlasten viel größer sind als die Lasten aus dem motorisierten Verkehr, müssen die tragenden Teile einer Eisenbahnbrücke viel stärker ausgebildet sein als bei einer Straßenbrücke“, erläutert Peter Wer, Teamleiter des Planfeststellungsabschnitts vom Flughafen bis Wendlingen. Mit dem Ingenieur Mike Rohrer, ebenfalls von der DB Projektgesellschaft Stuttgart-Ulm, betreut er das Projekt. Um den Verkehr unter der Bahnbrücke nicht einzuschränken, wurde die Konstruktion so gewählt, dass die tragenden Teile, also die verhüllten Tragwerke, nach oben gebracht werden. „Die Brücke wurde sozusagen auf den Kopf gestellt“, so Wer.
Die Zeltplane über dem Stahlkoloss ist nicht etwa für die Schweißer und Monteure, damit sie in der kalten Jahreszeit bei ihrer Arbeit nicht frieren. Benötigt wird sie wegen der schwankenden Außentemperaturen und der damit verbundenen Eigenschaft des Stahls: Je nach Stand des Quecksilbers dehnt er sich aus beziehungsweise zieht sich zusammen. Würden die Brückenteile also unter extremem Frost oder bei hohen Plustemperaturen zusammengeschweißt, wären die Spannungen auf den Stahl so unterschiedlich verteilt, dass er an der schwächsten Stelle, also an der Schweißnaht, reißen würde. Werden die Stahlträger und Stahlverstrebungen aber bei konstanter Temperatur im Zelt zusammengeschweißt, besteht die Gefahr nicht. Immerhin werden die ICEs die B 313 auf der zweigleisigen Brücke mit 250 Stundenkilometern queren.
Die für die Brücke notwendigen Einzelteile stammen aus einem Werk der Firma Schachtbau Nordhausen in Thüringen, die Firma Rommel baut sie zusammen. Voraussichtlich bis etwa Mitte Februar wird die Brücke schließlich an ihren Bestimmungsort geschoben werden.
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