Zwischen Neckar und Alb

Standortbestimmung zu Religion, Fremde und Heimat

Patenschaftsrat Rainer Brendel geht der Frage nach, welche Rolle die Kirche bei der Integration der Egerländer spielte

Brauchtum ist eine Frage der Identität. Beim Vinzenzifest ist es gelungen, unterschiedliche Bräuche zu integrieren.Foto: Ralf Ju
Brauchtum ist eine Frage der Identität. Beim Vinzenzifest ist es gelungen, unterschiedliche Bräuche zu integrieren.Foto: Ralf Just

Wendlingen. Das Vinzenzifest ist ein Erntedankfest. Es fand erstmals im Jahr 1693 in Eger statt. In Wendlingen ist die Tradition nicht ganz so lang. Seit 1952 feiert man das Vinzenzifest dort. Und seit 1966 hat die Stadt Wendlingen die Patenschaft über die Egerländer in Baden-Württemberg. Wendlingens Bürgermeister Steffen Weigel bezeichnete das Vinzenzifest in seinem Grußwort zur Festsitzung des Patenschaftsrats als ein europäisches Fest, dessen Bedeutung immer weiter zunimmt. Er erinnerte an die große Aufgabe, die nach dem Zweiten Weltkrieg auf die Bürger Unterboihingens und Wendlingens zukam - galt es doch für die 5 500 Einwohner, 1 800 Neubürger zu integrieren.

Volker Jobst, Bundesvorsteher des Bundes der Egerländer ­Gmoin, begrüßte die Pläne, das Vinzenzifest zu einem Wendlinger Stadtfest weiterzuentwickeln. Harald Wenig, Vorsteher des Landesverbands, zeigte sich besonders angetan von der Mitwirkung der Bürger und Vereine Wendlingens. Wie ein Heimkommen empfindet es Reinhold Frank, Vorsitzender des Landesverbands der Heimat- und Trachtenverbände Baden-Württemberg, jeden Sommer in Wendlingen. Kein Wunder, gelten doch das Fest und vor allem der Umzug als Treffpunkt für Trachtenträger. Europa als Bindeglied zwischen der alten und der neuen Heimat der Vertriebenen beschwor die Augsburgerin Marianne Hinterbrandner, Erste Vorsitzende des Altbayrisch-Schwäbischen Gauverbands.

Den Festvortrag hielt Professor Dr. Rainer Bendel von der Arbeitsgemeinschaft der katholischen Vertriebenenorganisationen aus Stuttgart. „Religion - Fremde - Heimat. Kirchliche Integration der Vertriebenen im Südwesten und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen“ lautete der Titel des Beitrags, der bisweilen eine große Parallelität zur aktuellen Aufgabe der Integration von Flüchtlingen aufwies. Ist die Überwindung von Konfessionsgrenzen damals gleichbedeutend mit der Überwindung von Religionsgrenzen heute? Eine interessante Frage.

Der Theologe sieht in der Kirche einen wichtigen Faktor, der es den Vertriebenen ermöglicht habe, in der Fremde eine Heimat zu finden. Doch wie müssen sich die Formen der Frömmigkeit wandeln? Was passiert mit Brauchtum, wenn es mit Fremdem konfrontiert wird?

Auf beiden Seiten, bei Einheimischen wie bei Fremden, sieht Bendel die Furcht, die eigene Identität zu verlieren, wenn man etwas aufgeben muss - ein Kampf, der bis in die Gegenwart geführt werde. Die Integration, die Fremde als Heimat zu sehen, so Bendel, habe einiger Anstrengung bedurft. Es habe Kraft gekostet, Hass und Rachegedanken ablegen zu können. Da der Gang zum Grab der Vorfahren nicht mehr möglich war, sei für Vertriebene die Schaffung neuer Gedenkorte wichtig geworden.Gaby Kiedaisch / Sylvia Gierlichs