Zwischen Neckar und Alb
Topf sucht Deckel

Ausbildungsmarkt Die Stimmung in der Wirtschaft ist gut, Betriebe bilden aus, doch es fehlen ausreichend Bewerber. Im Kreis gibt es zurzeit noch 1300 freie Lehrstellen in 180 verschiedenen Berufen. Von Bernd Köble

Die Zeiten ändern sich: Zu Beginn der Pandemie galt die Sorge vor allem der Wirtschaft, die in unsicheren Zeiten bei der Ausbildung zögert. Inzwischen ist die Stimmung in den Betrieben so gut wie lange nicht, doch der Lehrstellen­markt kommt trotzdem nicht auf Touren. Die Zahl der ­Bewerber ist in den beiden ­Corona-Jahren im Landkreis Esslingen doppelt so stark gesunken wie die Zahl der angebotenen Lehrstellen. Das zeigen aktuellste Zahlen von Ende Mai. Demnach gibt es im Kreis zurzeit noch 1300 freie Ausbildungsplätze in 180 unterschiedlichen Berufen.
Woran es liegt, dass Topf und Deckel nicht zusammenfinden, darauf gibt es nicht eine Antwort, sondern mehrere. Eine hat mit Corona wenig zu tun: Der Strukturwandel macht sich vor allem in technischen Berufen und Schlüsselbranchen wie der Automobilindustrie und im Maschinenbau bemerkbar. Ein Thema, das laut Karin Käppel, der Geschäftsführerin der Göppinger Arbeitsagentur, Eltern und Jugendliche gleichermaßen verunsichert.

 

„Wir schauen hoffnungsvoll auf die nächsten Monate.
Karin Käppel
Die Geschäftsführerin der Arbeits­agentur rechnet mit weiteren Lehrstellenbewerbern im Sommer.


Dass Betriebspraktika während der Pandemie erst gar nicht angeboten wurden und Berufsorientierung – wenn überhaupt – nur online stattfand, hat seinen Teil dazu beigetragen. Virtuelle Berufsmessen seien nun mal kein guter Ersatz, sagt Käppel. „Wer tagsüber acht Stunden im Homeschooling war, hat abends keine Lust mehr darauf.“ Ihr bleibt nur der Appell an Jugendliche, „den Kopf nicht in den Sand zu stecken“ und die Hoffnung auf eine Belebung in den verbleibenden Sommermonaten.
Eine Hoffnung, die auch Chris­toph Nold, der Geschäftsführer der IHK-Bezirkskammer Esslingen, nicht aufgeben will. „Die Zahlen sind schon ein Wort“, muss er einräumen. „Wir sind jedoch zuversichtlich, dass wir noch einen ordentlichen Endspurt hinbekommen.“ Handel und Gewerbe sind am stärksten vom Bewerberschwund betroffen. Hier hat sich die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge seit Beginn des Corona-Jahrs 2020 bis Ende Mai dieses Jahres mehr als halbiert. Nold geht davon aus, dass bis Jahresende noch immer mit einem Rückgang von rund 30 Prozent zu rechnen sein wird. Er spricht von einer ganzen Ausbildungsgeneration, die abgetaucht ist. Vielen Schulabgängern seien während des Lockdowns Motivation und Orientierung abhanden gekommen. Was mit Blick auf den Fachkräftemangel Sorgen bereitet, wäre vor Jahren noch als gute Nachricht durchgegangen: „Es gibt mehr offene Lehrstellen als jemals zuvor“, betont Chris­toph Nold. „Das ist eine kuriose Situation.“
Deutlich besser weggekommen ist das Handwerk mit seinen kreisweit 800 Ausbildungsbetrieben. Dort sind die Zahlen weitgehend stabil, obwohl der Großteil der Verträge erst zwischen Juni und September abgeschlossen wird. Wunschlos zufrieden ist auch der Esslinger Kreishandwerkermeis­ter Karl Boßler nicht. Er appelliert an Betriebe, sich für neue, zukunftsorientierte Berufe zu engagieren. „Wenn wir Fachkräfte sichern wollen, brauchen wir neue Berufsbilder“, sagt Boßler, „und eine wohnort- und betriebsnahe Beschulung. Bestes Beispiel: Während der Absatzmarkt für Elektrofahrräder boomt, müssen Zweiradmechaniker in der dualen Ausbildung zum Unterricht nach Freiburg reisen.

Von der Schule leichter in den Beruf

Der Landkreis beschreitet gemeinsam mit der Landesregierung neue Wege, um schwächeren Schülerinnen und Schülern, die noch nicht die nötige Ausbildungsreife haben, den Einstieg ins Berufsleben zu erleichtern. Vom übernächsten Schuljahr 2022/23 an gibt es an den beruflichen Schulen im Kreis schrittweise eine „Ausbildungsvorbereitung dual (AVdual).“ Der neue Bildungsgang ersetzt die seitherigen VAB-Klassen und das Berufseinstiegsjahr (BEJ). Er soll spätestens bis Schuljahresbeginn 2025 an allen beruflichen Schulen im Landkreis unter Einbeziehung der Schulsozialarbeit angeboten werden.Wichtigster Baustein des neuen Modells sind Betriebspraktika, in denen Schulabgänger die Berufswelt und eigene Neigungen besser kennenlernen sollen.
Verknüpft wird AVdual mit einem sogenannten regionalen Übergangsmanagement (RÜM), in dem alle am Ausbildungsmarkt beteiligten Partner gemeinsam eine Steuerungsfunk­tion übernehmen. Dazu gehören neben IHK und Handwerkskammer unter anderem auch Schulvertreter, Jobcenter und Jugendberufs­agentur.
Es gehe darum, Fähigkeiten herauszustellen, die Zeugnisse nicht abbilden, sagt Landrat Heinz Eininger, der sich gegenüber dem neuen Modell der Landesregierung allerdings zurückhaltend gibt. Die bisherigen Erfolgsquoten in Versuchsschulen entsprächen dem, was man bisher mit vorhandenen Instrumenten erreicht habe, sagt Eininger. „Unsere Vorbereitungsklassen waren sehr erfolgreich.“      bk