Zwischen Neckar und Alb

Tradition beugt sich der Gegenwart

Umbau Ihr Großvater hat 1923 den Grundstein für den Familienbetrieb gelegt, fast 100 Jahre später schließt Ulrike Wiedemann das Businesshotel Rosenau in Oberesslingen. Von Claudia Bitzer

In naher Zukunft rücken die Bagger an: 41 Wohungen will ein Bauträger auf dem Rosenau-Quartier schaffen. Fotos: Roberto Bulgrin
In naher Zukunft rücken die Bagger an: 41 Wohungen will ein Bauträger auf dem Rosenau-Quartier schaffen. Fotos: Roberto Bulgrin
Ulrike Wiedemann schließt ihr Hotel mit einem lachenden und einem weihenden Auge.Fotos: Roberto Bulgrin
Ulrike Wiedemann schließt ihr Hotel mit einem lachenden und einem weihenden Auge. Fotos: Roberto Bulgrin

Wer auf der Plochinger Straße in Oberesslingen an der „Rosenau“ vorbeifährt, dem springt ein großes Plakat ins Auge: Anstelle des familiengeführten Businesshotels in vierter Generation sollen dort 41 neue Wohnungen und zwei kleinere Gewerbeeinheiten in vier Häusern entstehen. Seit Juli ist zu. Das erste Corona-Opfer in der Esslinger Hotelszene? Nein, sagt Ulrike Wiedemann, die das Ensemble bereits im Februar vergangenen Jahres an ein Uhinger Bauträgerunternehmen verkauft hat.

Ihr Großvater August Häfner hatte 1923 mit dem Kauf eines Gasthofs samt Fremdenzimmern den Grundstein für das Hotel gelegt, das im Laufe der Jahrzehnte immer wieder erweitert wurde. Doch immer mehr habe sie in den vergangenen Jahren ins Ensemble investieren müssen. „Zuletzt wären auch noch 350 000 Euro für den Brandschutz fällig geworden.“ Sie hätte ihre Zimmerzahl gerne von 60 auf 100 aufgestockt - aber die Erweiterungsoptionen waren aus Sicht des Baurechtsamts offenbar ausgereizt.

Eine große Konkurrenz

Dass Esslingens größtes Hotel ‚The Niu Timber‘, das im vergangenen Jahr nur 200 Meter von der „Rosenau“ entfernt auf dem ehemaligen Weber-Areal eröffnet wurde, auch „ein kleines bisschen“ zu der Entscheidung beigetragen hat, will sie nicht abstreiten. Zumal die Fingerzeige seitens der Stadt schon zuvor mit den - gescheiterten - Hotelplänen im Bahnhofsbereich deutlich genug waren, wohin sich die Szene hinbewegen würde. „Das ist der Lauf der Zeit. Die Hotelkonzerne strecken ihre Krakenarme aus, die Entwicklungen sind noch nicht zu Ende. Und an allen Ecken und Enden werden Mikroappartements und Boarding-Häuser gebaut“, spielt sie auf die rund 400 geplanten, teils auch schon entstanden Mini-Wohnungen am westlichen Altstadtring an. Die Rosenau, die sie mit Unterstützung ihrer Tochter Julia führte, hat zu 95 Prozent von Geschäftskunden großer Firmen gelebt. Da gab es früher viele in der Nachbarschaft. Aber das war einmal. Nur während des Wasens und des Weihnachtsmarkts konnte auch ihr Haus von Touristen profitieren.

Die Frage, wie viele Hotels Esslingen braucht, hatte zuletzt im Vorfeld des neuen 227-Betten-Angebots des „Niu Timber“ für kritische Stimmen gesorgt. Sie bewegte aber schon zuvor die Branche vor Ort, in der sich Wiedemann auch als Vorsitzende des Hotellerievereins engagiert hat. Oberbürgermeister Jürgen Zieger hatte die Ansicht vertreten, dass Esslingen noch mehr Übernachtungsangebote vertragen würde. Auch Michael Metzler, Geschäftsführer der Esslinger Stadtmarketing und Tourismus hatte den Neubau auf dem Weber-Areal begrüßt. „Aber das war auch noch vor Corona“, betont Metzler heute. Allerdings habe Corona überall für einen „beispiellosen Einbruch der Übernachtungszahlen“ gesorgt. Die Lage für die Hotellerie bleibe in den kommenden drei, vier Monaten sicher schwierig.

Ulrike Wiedemann war über die Jahre hinweg eine feste Größe in der Esslinger Hotelszene und in der Verbandsarbeit. Lange Arbeitstage und Sieben-Tage-Wochen gehörten zu ihrem Alltag. Ihre Tochter hat bereits einen neuen Job in der Branche, Ulrike Wiedemann, die 64 Jahre alt wird, und viele ihrer 14 Mitarbeiter suchen noch. Auch das ist in diesen Zeiten mehr als schwierig. Dennoch hört sie zum Timing ihres Abschieds von ganz vielen nur den Kommentar: „Alles richtig gemacht.“