Zwischen Neckar und Alb

Vergessene Helden

Pflegebonus Nachdem klar wird, dass es eine Corona-Prämie nur für Mitarbeiter in der Altenpflege gibt, wachsen vor einer möglichen zweiten Welle Frust und Enttäuschung in den Kliniken. Von Bernd Köble

Im März wurden sie als Helden des Alltags gefeiert, eine finanzielle Anerkennung bleibt ihnen jetzt verwehrt: die Mitarbeiter au
Im März wurden sie als Helden des Alltags gefeiert, eine finanzielle Anerkennung bleibt ihnen jetzt verwehrt: die Mitarbeiter auf der Intensivstation des Kirchheimer Krankenhauses.Foto: privat

In der Hochphase der Pandemie wurden sie von einer Sympathiewelle überrollt und zu Helden gekürt: Schlecht bezahltes Personal auf Intensivstationen und in Pflegeeinrichtungen schuftete Tag und Nacht, um Leben zu retten und für diejenigen da zu sein, die von der Krise am härtesten getroffen wurden: Alte und Kranke. Als Anerkennung hat Gesundheitsminister Jens Spahn im Mai per Gesetz einen Pflegebonus auf den Weg gebracht. Maximal 1500 Euro für Vollzeitkräfte - einmalig und steuerfrei. Zwei Drittel davon trägt der Bund, Länder und Arbeitgeber bezahlen den Rest. Seit Juni wird ausbezahlt. Ende August sollen alle das Geld auf dem Konto haben.

Wer alle sind, wird erst jetzt klar: In den Genuss der Prämie kommen nur die Beschäftigten in der Altenpflege, die am wenigsten verdienen. Die Politik hat das im Gesetzestext zwar klar formuliert, aber nicht deutlich genug kommuniziert. Entsprechend groß ist nun der Frust beim Personal in Kliniken und in der Behindertenhilfe, dem bewusst wird, dass es leer ausgeht.

Gut tausend Stunden Mehrarbeit haben die knapp über 40 Pflegekräfte auf den Intensivstationen der drei Medius-Kliniken in Kirchheim, Nürtingen und Ruit während der zwei Hauptmonate der Pandemie geleistet. Eine Arbeit, bei der es um Leben und Tod ging. Rund um die Uhr, Schicht auf Schicht. Dafür gab es eine monatliche Erschwerniszulage von 46 Euro brutto - und vor Tagen einen Auftritt im Heute-Journal des ZDF. „Man bekommt Klatschen vom Balkon und wird schnell vergessen, wenn es um harte Währung geht“, spricht die Nürtinger Chefärztin Tanja Kühbauch ihren Pflegemitarbeitern aus der Seele. Dass besonders stark betroffene Häuser sich den Zuschlag als Tarifleistung von den Krankenkassen erstatten lassen oder aus eigenen Mitteln bezahlen sollen, ärgert auch Thomas Kräh, den Geschäftsführer der Medius-Kliniken. „Eine Sonderzahlung ist als Tarifleistung in der Krankenhausfinanzierung schlicht nicht hinterlegt“, stellt er klar. Der Klinik-Betriebsratsvorsitzende Mathias Geister sieht noch einen ganz anderen Aspekt: Viele Mitarbeiter seien nicht mehr bereit, bei einer möglichen zweiten Welle der Pandemie auf Urlaub zu verzichten und zahllose Überstunden zu leisten, fürchtet er. Auch wenn sie ihren Job aus Überzeugung machen. Anders wäre das bei einem durchschnittlichen Monatsverdienst von 1800 Euro netto auch gar nicht denkbar.

CDU-Gesundheitsexperte Michael Hennrich hat Verständnis für die Enttäuschung. „Dass die Debatte auf uns zukommt, war von Anfang an klar“, sagt der Kirchheimer Bundestagsabgeordnete, der die jetzige Lösung als „nicht zufriedenstellend“ bezeichnet. Entsprechend lang und kontrovers sei die Diskussion bis zur Entscheidung gewesen. „Die Frage war, wo zieht man eine vernünftige Grenze“, sagt Hennrich. Das Problem aus Politikersicht: Die Intensivstationen der Kliniken waren während der heißen Coronaphase regional stark unterschiedlich belastet. Während in manchen Gegenden kaum Intensivbetten benötigt wurden, stießen Krankenhäuser wie im dicht besiedelten Kreis Esslingen Ende März an Grenzen. In der Altenpflege fiel die Entscheidung über einen Bonus leichter, zumal dort noch weniger verdient wird als im Klinikbereich.

Dabei ist die Sache einfach: Gäbe es eine angemessene Bezahlung in der Pflege, wäre eine Bonus-Debatte überflüssig. „Das ist kein Corona-Thema. Das ist ein generelles Problem“, sagt deshalb der Grünen-Fraktionschef im Landtag, Andreas Schwarz. Er wirft der Berliner Regierung vor, zwar Milliarden Euro in Konjunkturhilfen für die Wirtschaft zu stecken, aber kein Programm zu starten, das die Zustände in Pflegeberufen entscheidend verbessere. Ihm geht es dabei nicht nur um mehr Geld: „Wir reden auch über Themen wie Arbeitsbedingungen, Aufstiegschancen oder Weiterbildung.“

Bisher nur leere Versprechungen

Etwa 2800 Euro brutto verdienen Berufseinsteiger in der Altenpflege durchschnittlich im Monat. Vorausgesetzt, sie werden von ihrem Arbeitgeber nach Tarif bezahlt. Dass dies, gemessen an Verantwortung und Arbeitsbelastung und angesichts des wachsenden Pflegenotstands zu wenig ist, darüber sind sich Politiker lange schon einig. Obwohl bessere Rahmenbedingungen für alle Pflegeberufe als Ziel im Koalitionsvertrag verankert sind, hat das Gesundheitsministerium bisher kein umfassendes Programm auf den Weg gebracht. Die Zahl junger Menschen in Deutschland, die sich unabhängig von Arbeitsbedingungen und Verdienstmöglichkeiten für einen Sozialberuf interessieren, liegt jüngsten Erhebungen zufolge bei etwa fünf Prozent. bk