Zwischen Neckar und Alb

Vergiftete Luft belastet Schulklima

Schadstoff An mehreren Schulen in Esslingen ist der Weichmacher PCB in der Raumluft nachgewiesen worden – und zwar in zum Teil erheblichen Mengen. Die Schüler der Zollberg-Realschule wurden nun ausquartiert.

Die Mensa der Zollberg-Realschule dient schon seit Wochen als Teilzeit-Klassenzimmer.Foto: Roberto Bulgrin
Die Mensa der Zollberg-Realschule dient schon seit Wochen als Teilzeit-Klassenzimmer.Foto: Roberto Bulgrin

In mehreren Esslinger Schulen ist das Umweltgift PCB gefunden worden. Besonders stark betroffen ist die Zollberg-Realschule. Seit dieser Woche dürfen die Schüler dort nicht mehr in dem am meisten belasteten Hauptgebäude unterrichtet werden. Stattdessen stellt die Stadt Container auf. Bis alle geliefert sind, wird im Schichtbetrieb unterrichtet, Schüler und Lehrer müssen auch auf Fachräume, die Mensa oder den benachbarten Jugendtreff ausweichen.

An die Öffentlichkeit gedrungen ist das Problem erst dieses Jahr. Bereits 2016 jedoch hatten sich umweltengagierte Eltern an die Stadt gewandt, weil sie in den Schulen den Schadstoff vermuteten. Im Esslinger Baudezernat unterschätzte man das Problem zunächst. Erst 2017 begann die Stadt mit den Untersuchungen von Schulhäusern, die in den Risikojahren zwischen 1960 und 1980 gebaut wurden und deshalb potenziell den Weichmacher PCB (siehe Info) enthalten können. Das Ergebnis: Gleich in mehreren Schulen ist die Konzentration des Umweltgifts in der Luft bei den Messungen zu hoch gewesen. Besonders bedenkliche Ausmaße nahmen die Werte in der Zollberg-Realschule an. In deren Hauptgebäude wurden in einer ersten Messung im Dezember 2018 Werte bis zu 3 205 Nanogramm PCB pro Kubikmeter Luft gemessen. Dauerhaft tolerabel sind in Räumen Werte von unter 300 Nanogramm. Auch das dioxinähnliche PCB 118 wurde in zu hohen Mengen gefunden.

Die Schüler aus dem am meisten belasteten Zimmer wurden in die Mensa ausquartiert. In den übrigen Räumen wurde systematisches Lüften verordnet. Dadurch lassen sich die Werte drücken. Glücklich waren Elternvertreter und Lehrer mit der Lösung aber nicht: Angesichts des Dauerlüftens alle 20 Minuten saßen die Kinder permanent im Zug. Auch ein geordneter Unterricht war kaum mehr möglich. „Vor den Osterferien sind wir jeden Tag bei zehn Grad in den Unterricht gegangen“, berichtete ein Lehrer.

Ein Gutachterbüro fand hohe PCB-Lasten in den Dehnfugen und Deckenplatten, aber auch in Wandfarben, Bodenbelägen, Pinnwänden oder Schulmöbeln, die das ausdünstende Umweltgift im Laufe der Jahre aufgenommen haben. Dazu kommen Mineralwolle, die in den Trennwänden verbaut ist, und Asbest, der in der Putz- und Spachtelmasse der Betonstützen verarbeitet ist.

„PCB ist ein Gift“, sagte Dominique Scheuermann, Amtsleiterin des Gesundheitsamts im Esslinger Landratsamt bei einer Infoveranstaltung. Und zwar eines, das zum Handeln verpflichte. Aber es gebe keine Studien, die Hinweise auf eine gesundheitliche Auswirkung auf Menschen beschreiben würden, die sich in PCB-belasteten Räumen aufhielten. Sondern nur zu Menschen, die mit dem Stoff selbst gearbeitet hätten. Insgesamt gesehen seien die PCB-Werte in den vergangenen 30 Jahren deutlich gesunken - weil man sich eben um eine Minimierung des Giftstoffs bemüht habe. Und die Richtwerte seien auf die gesundheitlich Schwächsten einer Gesellschaft ausgelegt.

Eine Mustersanierung von zwei Klassenzimmern brachte nicht den gewünschten Erfolg. Auch danach waren die gemessenen Werte deutlich zu hoch. Fest steht also, dass der Schadstoffbelastung in der 1972 gebauten Zollberg-Realschule nicht mit kleineren Maßnahmen beizukommen ist. Nun stehen eine Kernsanierung oder möglicherweise sogar ein Neubau im Raum.ez/tb

Die Stadt Kirchheim hat im Jahr 2010 all ihre Schulen und Kindergärten, die im Risikozeitraum gebaut wurden, auf PCB untersucht. „Die einzige Schule, an der erhöhte Werte festgestellt wurden, war die Eduard-Mörike-Schule in Ötlingen“, sagt Dennis Koep, Pressesprecher der Stadt Kirchheim. Das Hauptgebäude sei daraufhin grundlegend saniert worden. An allen anderen Schulen seien keine erhöhten PCB-Werte gemessen worden.

foto: roberto bulgrin09. 05. 2019Esslingen, Zollberg Realschule
foto: roberto bulgrin09. 05. 2019Esslingen, Zollberg Realschule

Weichmacher, die heute verboten sind

Polychlorierte Biphenyle (PCB) sind eine Gruppe von insgesamt 209 chemischen Verbindungen aus Biphenyl und Chlor. Sie wurden vor allem zwischen 1960 und 1980 als Weichmacher in Fugen oder Bodenbelägen, aber auch feuerhemmend in Decken und Anstrichen verwendet. Verboten hat man sie erst 1989. Sie sind wegen ihrer Ausdünstungen gefürchtet, die sich nicht nur in der Luft, sondern auch auf anderen Gegenständen im Raum anlagern können.

Dem Umweltgift, das sich im Fettgewebe anlagert und vor allem auch über die Nahrung zum Menschen kommt, schreiben Experten - je nach seiner Konzentration - Gesundheitsrisiken zu. Es wird in Verbindung mit Schwächegefühl, Krebs, Leberveränderungen, Immunschwäche und mehr gebracht.ez/tb