Zwischen Neckar und Alb
Von Afghanistan führte sein Weg zur „Glückseligkeit“

Soziales Sascha Viereg diente als Soldat unter anderem in Kabul und arbeitet heute dort, wo er als Jugendlicher Hilfe fand: im Esslinger Jugendzentrum Makarios. Von Thomas Zapp

Aufgewachsen ist er in schwierigen familiären Verhältnissen, als Jugendlicher war er mit seinen Freunden in einem sogenannten sozialen Brennpunkt unterwegs, der Esslinger Pliensauvorstadt. „Ich hab alles mitgenommen, was man mitnehmen kann“, erzählt er vielsagend. Doch Sascha Viereg spürte, dass sein Weg in die falsche Richtung führte. Er wählte einen ungewöhnlichen Weg, ohne dass es in seiner Familie oder seinem Freundeskreis ein Vorbild dafür gegeben hätte: Mit 18 Jahren ging er zur Bundeswehr. „Es war ein bewusster Schritt, um Distanz zu meinem Umfeld aufzubauen“, erzählt der 33-Jährige.

Nach Einsätzen im Kosovo, Usbekistan und zuletzt auch in Afghanistan ist er wieder genau hierher zurückgekehrt: Seit September leitet er das Jugendzentrum Makarios, dessen Mitarbeiter ihm als Jugendlichen nicht nur einmal moralische Unterstützung und einen Ort zum Kraft tanken, sondern auch Trost und Hilfe gegeben haben. Die Entscheidung fühlt sich für den gläubigen Christen richtig an, der Name des CVJM-Jugendzentrums ist für ihn zum Programm geworden: Makarios ist griechisch und heißt „Glückseligkeit“.

Bei den Jugendlichen, die zu ihm kommen, sorgt er mit seiner militärischen Erfahrung für Respekt. „Die wollen natürlich wissen, welche Waffen ich in der Hand hatte“, sagt er. Dabei war es weniger der Dienst an der Waffe, der ihn reizte. Vielmehr war es ihm darum gegangen, dort zu helfen, wo Hilfe benötigt wurde. „Ich wäre auch gerne zum THW gegangen, dafür hätte ich aber zuerst die Grundausbildung beim Bund absolvieren müssen“, sagt er. Also hatte er sich verpflichtet. Was es bedeutet, eine Waffe im Notfall auf Menschen richten zu müssen, habe er nicht parat gehabt. „An die persönlichen Gefahren dachte man nicht.“

Sein erster Auslandseinsatz führte ihn von seiner Kaserne in Landsberg am Lech 2009 in den Kosovo. Dort bildete er als Hauptgefreiter Ortskräfte im ABC-Schutz aus, also Schutzmaßnahmen gegen chemische Kampfstoffe. „Das war eine gute Erfahrung“, erinnert er sich. Nach einem weiteren Einsatz in Usbekistan kam er 2011 das erste Mal für drei Monate als Funkoffizier nach Afghanistan. „In einer internationalen Truppe zu arbeiten, das war eine tolle Erfahrung“, erinnert er sich. Bis 2014 war er drei Mal in dem Land. „Die politische Lage spitzte sich zwar zu, aber eine persönliche Gefährdung habe ich dort nicht erlebt“, sagt Viereg, der in Kabul als Fernmeldesoldat arbeitete und nicht auf Streife ging. Die Arbeit der Bundeswehr bewertet er auch im Nachhinein als positiv. „Wir haben dort Schulen mit aufgebaut, die gut besucht wurden“, erzählt er. Kampfeinsätze habe er nicht gehabt.

Umso mehr hat ihn in kürzlich der Abzug der Nato gewundert. „Man hat den Leuten erst eine Perspektive gegeben und dann lässt man sie allein.“ Man habe Hoffnung gesät, dass man die Verhältnisse ändern könne. „Das war keine gute Entscheidung“, ist er überzeugt. Die Menschen, die für die internationalen Truppen gearbeitet haben und jetzt gefährdet sind, tun ihm leid. „Wie lange kann man das aushalten? Was macht das mit Freunden und Angehörigen?“ Deswegen wundert es ihn auch noch, dass sich die Ortskräfte nicht verteidigt haben, als sich die Taliban das Land zurückeroberten. „Für die war das ein Job, dann standen sie plötzlich alleine da.“ 

Klare Anweisungen geben

Das Thema Afghanistan hat Sascha Viereg bis heute nicht losgelassen, immer noch hält er Kontakt zu vielen ehemaligen Kameraden. Trotz der Enttäuschung über die aktuelle Situation ist er sich heute sicher: „Ich würde es definitiv noch mal machen.“

Besonders die Kameradschaft habe ihn beeindruckt: „Verantwortung für andere zu übernehmen, aber sich auch auf andere verlassen zu können, das habe ich dort gelernt.“ Seine interkulturelle Kompetenz hilft ihm bei seiner heutigen Arbeit im Makarios ebenso wie ein bestimmter Wertekanon. „Ich lege Wert auf Ordnung und Pünktlichkeit, und wenn es sein muss, kann ich auch klare Anweisungen geben“, sagt er. Eine Verbindlichkeitsstruktur möchte er den Jugendlichen zeigen – so wie er es selbst an diesem Ort und später als Soldat erlebt hat.

 

„Der Zapfenstreich war gut und wichtig“

Ein wichtiges Ritual sei der Zapfenstreich am 13. Oktober gewesen: „Er war gut und wichtig.“ Allerdings nennt der ehemalige Soldat auch ein „Aber“: „Es gab keinen Raum für die Verstorbenen und die Verletzten. 59 Kameradinnen und Kameraden sind dort ums Leben gekommen und zahllose Einsatzkräfte hatten später posttraumatische Störungen“, sagt er. Überhaupt stört ihn das Image der Soldaten: „Die wenigsten tun ihren Dienst mit dem Vorsatz, Rambo zu spielen. In erster Linie leisten sie international Hilfe oder auch auf nationaler Ebene, wie man beim Hochwasser sehen konnte“, sagt er. Statt Wertschätzung habe er mit seinen Kameraden oft Ablehnung und Beschimpfungen als „Mörder“ erfahren, etwa von Mitreisenden bei der Zugfahrt zur Kaserne im bayerischen Landsberg am Lech. zap