Zwischen Neckar und Alb

Von der Panne zum Weltrekord

Speaker-Slam Reinhard Müller aus Wendlingen misst sich im März in Wiesbaden mit 70 Rednern. Begonnen hat alles mit einem falschen Ticket. Von Peter Dietrich

Der Entertainer kann sowohl mit dem Feuer als auch mit den Worten umgehen. Archivfoto: pr
Der Entertainer kann sowohl mit dem Feuer als auch mit den Worten umgehen. Archivfoto: pr
Reinhard Müller beweist an vielen Instrumenten sein können. Foto: Peter Diertrich
Reinhard Müller beweist an vielen Instrumenten sein können. Foto: Peter Diertrich

Ich habe aus Versehen falsche Karten gekauft“, sagt Reinhard Müller. Eigentlich wollte er zur Fortbildung zum Stuttgarter Wissensforum. Doch dann landete er mit seiner Ehefrau Sigi stattdessen bei einem exklusiven Sprechertraining für 35 Leute. „Ich hatte mich schon gewundert, dass das nicht in der Schleyer-Halle oder der Porsche-Arena war, sondern im Zeppelin-Hotel.“ Das Training auf höchstem Niveau mit Rundfunkleuten und anderen hatte einen ultimativen Befehl der Ehefrau zur Folge: „Reinhard, du gehst wieder zurück auf die Bühne.“

Die Bühne ist den Wendlingern nicht fremd. Seit nun 32 Jahren spielen sie mit der Mittelaltergruppe „Schnarrensack“, die beide gemeinsam gegründet haben, vor Publikum. Reinhard Müller bringt es auf fast 2000 Auftritte. Doch in diesem Fall war mit „Bühne“ etwas anderes gemeint: Sein Auftritt als Redner, neudeutsch „Keynote Speaker“.

Müllers Werdegang ist bunt

„Mein Leben ist wie ein riesiges Büffet“, sagt er beim Schnellabriss seines Lebenslaufs: Nach seiner Lehre als Elektriker arbeitete er als Ausbildungsleiter in der Industrie, ließ sich parallel zum Psychotherapeuten ausbilden. „Parallel“ ist ein Wort, das untrennbar zu ihm gehört, denn mit nur einer Sache zugleich wäre dieser Mann auch im Alter von 65 Jahren hoffnungslos unterfordert.

Der Entertainer hat an der Berufsschule unterrichtet und mit Klassen gearbeitet, in die sich manche Kollegen nicht mehr recht hineinwagten. Eine Mobbingklasse hat er mit einem selbst entworfenen Teamtraining und Klettern so weiterentwickelt, dass Schluss mit dem Mobbing war. Die Holzgeräte für die Teamtrainingsspiele, wie Balancebretter für bis zu vier Schüler, hatte er in der eigenen Werkstatt selbst gefertigt. Vorträge über Kinder und Jugendliche, Motivationstraining und Beratung von Firmen führten ihn kreuz und quer durch Süddeutschland. Doch mit dieser Vortragstätigkeit hatte er eigentlich schon abgeschlossen.

Bis zu dem Versehen mit den Eintrittskarten. Das „Versehen“ spricht er ausdrücklich mit Anführungszeichen aus. Göttliche Vorsehung? Hat das Universum umgeplant? Wer will das so ganz genau wissen. Nun wurde der Wendlinger bei der Referentenvermittlung „Speakers Excellence“ aufgenommen, online ist er schon präsent, am 1. März kommt der gedruckte Katalog. „Mein Ziel ist, so habe ich das mit meiner Frau besprochen, in diesem Jahr noch mindestens 15 Vorträge zu halten. Jetzt ist der Alpha-Rüde in mir erwacht.“

Je mehr Redner, umso besser

Einer der Vorträge, nur fünf Minuten lang, wird beim Speakers Slam ab 18. März in Wiesbaden zu hören sein. 70 Redner sollen dort hintereinander auftreten, damit will der Organisator seinen eigenen Weltrekord mit zuvor 69 Rednern überbieten. Dieser Vortrag soll sich um das Thema „Impulse“ drehen: „Mir ist es wichtig, Menschen in Bewegung zu bringen.“ Der Vortrag hatte ursprünglich neun Minuten, dann hat ihn Reinhard Müller für einen Stuttgarter Auftritt auf sieben Minuten gekürzt, nun noch etwas mehr.

Das Zeitlimit ist strikt, auf der Wiesbadener Bühne tickt eine Stoppuhr fünf Minuten lang rückwärts, wie beim Fernsehen, dann ist das Mikrofon aus. Da bleibt leider keine Zeit für den Dudelsack, den Reinhard Müller ansonsten gerne als Metapher für Führungsqualitäten verwendet. Zu Hause übt er derzeit mit der Smartphone-Stoppuhr. Vor Wiesbaden spricht er zur Übung noch einmal vor 40 und einmal vor 300 Leuten.

Schaut er sich im Fernsehen andere Redner an? „Wir hatten noch nie einen Fernseher, uns ist nie langweilig geworden.“ Aber das Internet wird gerne genutzt, zuletzt für Willy Astor, dessen Wortakrobatik Reinhard Müller grenzenlos bewundert. Seine Bewunderung gilt auch besonders all jenen, „die mit über 80 Jahren noch andere Menschen begeistern. 20 Minuten Gitarrensolo vom Deep-Purple-Gitarristen? Traumhaft!“ Die fehlende Langeweile kann auch an vier Kindern und 14 Enkeln liegen. Die Kinder könnten auch eine der Ursachen der immer wieder neuen Frage „Wie geht dies oder das schneller?“ und der Offenheit für hilfreiche technische Neuheiten wie die Spracherkennung sein. „Auch wenn ich mehr Künstler, Mensch und Psychologe als Techniker bin“, sagt Reinhard Müller.