Zwischen Neckar und Alb

Wanda hat die Kurve gekriegt

ICE-Baustelle Nach ihrer „Zwillingsschwester“ Sibylle hat nun auch die zweite Tunnelbohrmaschine ihr Ziel erreicht. Das wurde gestern gebührend gefeiert. Von Sylvia Gierlichs

Einige Wochen nach ihrer „Zwillingsschwester“ Sibylle hat nun auch die zweite Tunnelbohrmaschine ihr Ziel erreicht. Foto: Jürgen
Foto: Jürgen Holzwarth

Tunnelbohrmaschinen scheinen irgendwie ein Eigenleben zu entwickeln. „Sibylle“ hatte auf dem Weg nach Wendlingen in den vergangenen zwei Jahren elf Ingenieure „verschlissen“. „Wanda“ dagegen schien eher eine Maschine zu sein, die den Weg des geringsten Widerstandes ging. Denn als kurz vor Wendlingen der Boden auf der einen Seite des Schneidrads ein wenig nachgiebiger wurde, nutzte sie das sofort aus, um einen Ausflug ins Gelände zu machen. Die Projektverantwortlichen nahmen es ihr nicht übel, sondern bereiteten dem dicken Mädchen einen gebührenden Empfang auf der Wendlinger Baustelle des Albvorlandtunnels. Feuerwerk inklusive.

Aushub bereitet Kopfzerbrechen

Wanda und Sibylle: Die Namen wurden im Sommer 2017 in einem großen Wettbewerb ermittelt, an dem sich fast 600 Leser des Teckboten und der Nürtinger/Wendlinger Zeitung beteiligt hatten. Während Sibylle ihre Namenspatin in der sagenhaften Sibylle von der Teck hat, erdachten sich Schüler der Wendlinger Johannes-Kepler-Realschule im Deutschunterricht das Wortspiel „Wendlingen am Neckar durchs Albvorland“ - Wanda.

Auf ihrem Weg nach Wendlingen bereiteten die beiden Maschinen, aber auch die Geologie des Albvorlands den Ingenieuren nicht nur Freude. Es gab heikle Passagen, beispielsweise als sich beide Maschinen unter der Autobahn hindurchgruben. Auch der Umgang mit der Entsorgung des pyrithaltigen Erdaushubs bereitete Kopfzerbrechen. Denn Pyrit ist ein Eisensulfid. Im Schwarzjura des Albvorlandes könnte es zum Problem werden, wenn es über längere Zeit offen gelagert wird. Durch Sauerstoff und Regenwasser könnte sich Sulfat bilden. Und davon darf nicht mehr als 250 Milligramm im Grundwasser auftauchen. Ob der schieren Masse an Erdmaterial sah sich das Land veranlasst, die Entsorgung mit dem Pyriterlass zu regeln.

Die Entsorgung des Erdaushubs, die zu einem großen Teil über die Bundesstraße 465 erfolgte, sorgte übrigens schon für Unmut, noch bevor die Arbeit am Tunnel begann. Denn die Vorstellung, dass täglich bis zu 500 Lkw auf ihrer schmalen Ortsdurchfahrt entlangbrettern, machte den Bürgern vor allem in Owen und Lenningen Angst. Als dann im vergangenen Jahr auch noch Sonntagsfahrten hinzukamen, ballten viele Bürger im Lenninger Tal die Faust in der Tasche.

DB-Logo lenkt Autofahrer ab

Auch der Kalkstaub sorgte im Frühjahr 2018 für ein wenig Aufregung. Denn der Erdaushub, den die Maschinen zutage förderten, war zu weich, um ihn in einem Steinbruch einzulagern. Brandkalk, so der Plan der Experten, bindet Wasser. Das tat er zwar, aber mit jeder Windbö wirbelte der Brandkalk auch durch die Luft und setzte sich auf Autos, Gartenmöbel und Fenster der Anwohner. Mit viel Aufwand wurde auch dieses Problem gelöst.

Doch es gab auch schöne Momente. Der Einhub von Wandas Schneidrad beispielsweise. Spektakulär schwebte es, aufgehängt an einem riesigen Kran, über den Kirchheimer Bauabschnitt, der ja direkt an der Autobahn liegt. Das in der Abendsonne leuchtende DB-Logo ließ so manchen Autofahrer kurz den Fuß vom Gas nehmen und ein paar Mal öfter zur Baustelle hinüberspähen.

Fast alles abgeschlossen

Am Dienstag nun wurde der Durchschlag am Albvorlandtunnel gefeiert. Damit sei nun nahezu der gesamte Tunnelvortrieb auf der Neubaustrecke abgeschlossen, sagte der baden-württembergische DB-Chef Thorsten Krenz.

Am Nachmittag fand in kleinem Kreis auch noch der Durchschlag des Tunnels der Güterzuganbindung statt, womit die heikle Passage unter der Autobahn gemeis­tert ist.

Der Albvorlandtunnel

Der 8176 Meter lange Albvorlandtunnel ist künftig einer der zehn längsten Eisenbahntunnel in Deutschland. Querschläge zwischen den beiden Tunnelröhren alle 500 Meter ermöglichen im Notfall den Passagieren, in die nicht betroffene Tunnelröhre zu wechseln. Mit 54 000 Betonfertigteilen, Tübbinge genannt, wurde der Tunnel ausgekleidet. Der schwerste Tübbing ist ebenfalls ein dicker Brocken und wiegt 10,5 Tonnen. 600 Bauarbeiter und rund 80 Ingenieure, Geologen und Kaufleute arbeiteten seit 2016 an der Vollendung der beiden Tunnelröhren.

Technische Daten: Die Tunnelbohrmaschine Wanda ist circa 120 Meter lang und wiegt rund 2300 Tonnen. Der Durchmesser des Schneidrads beträgt 10,82 Meter. 56 Schneid­rollen sind daran montiert, jede wiegt etwa 160 Kilogramm. Hinzu kommen 140 Schälmesser.