Die Haro-GmbH nimmt eine neuartige elektronische Steuerung in ihr Sortiment auf. Kalkulieren Sie mit den ermittelten Zuschlagssätzen und berücksichtigen Sie dabei, dass der Stückgewinn 135,00 Euro betragen soll.“ So lautet eine Aufgabe aus einer Abschlussprüfung der Berufsschule.
Wie bitte? Viele kennen aus der eigenen Schulzeit die Überforderung, mit einer mathematischen Textaufgabe konfrontiert zu sein, die mit Fremdwörtern und umständlichen Formulierungen gespickt ist. Meistens hilft es schon, die Frage noch einmal zu lesen. Doch wenn Deutschkenntnisse nicht ausreichen, wird das zum Problem. So geht es vielen Auszubildenden mit Fluchthintergrund im Landkreis Esslingen. Sie haben zwar eine Stelle gefunden, sorgen sich aber, die Prüfungen wegen der Sprachbarriere nicht zu bestehen.
Die Furcht ist nicht unbegründet. Laut Statistischem Landesamt haben 2019 insgesamt 94,1 Prozent aller Berufsschüler die Abschlussprüfungen bestanden. Bei den Schülern, die aus den Hauptfluchtländern Irak, Afghanistan, Syrien, Iran, Nigeria, Pakistan, Eritrea, Somalia und Gambia stammen, lag die Quote jedoch nur bei 74,9 Prozent.
Im Arbeitsalltag hätten die Geflüchteten keine sprachlichen Nachteile, sagt Monika Brucklacher von der IHK-Bezirkskammer Esslingen-Nürtingen. „Sie sind sehr motiviert und arbeiten gut mit. Die Sprache wird erst in der Berufsschule relevant.“ Als „Kümmerin“ für dieses Thema weiß sie um die Probleme der Geflüchteten. Brucklacher hilft bei Fragen weiter und berät auch die Ausbildungsbetriebe. Größtes Problem sei das Lesen und Verstehen deutscher Texte. Als Beispiel nennt die IHK-Referentin die Text-Aufgaben aus dem Mathematikunterricht.
Auch beim Sachgebiet Migration und Integration des Esslinger Landratsamts nimmt man diese Schwierigkeiten wahr. „Dabei geht es insbesondere um Fachsprache“, erklären die Mitarbeiter. Auch Dialekte, Redewendungen und Alltagssprache erschwerten den Geflüchteten das Leben. „Diese Faktoren können im Trubel des Arbeitsalltags dazu führen, dass sie ihr volles Potenzial nicht ausschöpfen können.“ Das bedeutet: Die Azubis können im Betrieb hervorragende Arbeit leisten, haben in der Theorie - besonders im schriftlichen Bereich - jedoch mit massiven Problemen zu kämpfen. Und das führe zu Lernrückständen. Die Mehrheit der jungen Menschen, die zu Monika Brucklacher kommen, hätten in ihren Herkunftsländern verhältnismäßig lange die Schule besucht. Doch die Schwerpunkte seien eben von Land zu Land unterschiedlich. „Viele kennen keinen Gesellschaftsunterricht“, erklärt sie. So wird ein syrisches Abitur beispielsweise nur als mittlerer Bildungsabschluss anerkannt. Um die Berufsschule besuchen zu können, müssen die Geflüchteten mindestens Deutschkenntnisse der Stufe B2 vorweisen. Das reicht im Alltag sehr gut aus, in der Schulprüfung kommt es aber häufig zu Schwierigkeiten.
Pilotprojekt in Stuttgart
Ein Vorschlag wäre, den Betroffenen zusätzlichen Sprachunterricht anzubieten. „Der Landkreis Esslingen verfügt über ein breites Angebot an Sprachförderangeboten“, betont das Landratsamt. Einen Überblick bietet die Broschüre „Deutsch lernen im Landkreis Esslingen“. Doch laut Brucklacher ist das nicht ganz so einfach. Immerhin arbeiten die Azubis in Vollzeit und besuchen an eineinhalb Tagen der Woche die Berufsschule. Sprachkurse seien folglich eine zusätzliche Belastung. „Irgendwann ist Ende der Fahnenstange“, sagt Brucklacher. Der Zeitaufwand für die Sprachförderung müsse stärker in den Schulalltag integriert werden. Hier gibt es auch schon konkrete Lösungsvorschläge. „In Stuttgart gibt es beispielsweise ein Pilotprojekt“, sagt Brucklacher, bei dem Ausbildungsmanager Geflüchteten unter die Arme greifen. Grundsätzlich glaubt Brucklacher, dass ein Mentoring-Programm viel bewirken könnte. Dabei würden stärkere Schüler die schwächeren unterstützen. „Und das eben deutsch-spezifisch“, sagt die IHK-Mitarbeiterin. Außerdem müssten die Vorbereitungsklassen Arbeit und Beruf (VAB) stärker gefördert werden. In diesem Unterricht werden Migranten mit sehr wenig Deutschkenntnissen sprachlich auf die Berufsausbildung vorbereitet. „Wir würden uns einen Ausbau der Sprachförderung im Kreis wünschen“, sagt die IHK-„Kümmerin“. Doch es tut sich auch etwas bei der Integration: „Wir merken, der Sprachstand ist schon deutlich besser geworden.“