Sie fühlen sich diskriminiert, ausgegrenzt, ihrer Freiheit beraubt und gesellschaftlich geächtet. Sie bilden die große Mehrheit der Covid-Patienten in den Intensivstationen und bereiten dem medizinischen Personal Stress bis zum Limit. Wer sind sie, die Menschen, die sich nicht gegen Covid impfen lassen? Was treibt sie an und um?
Geht man von Zuschriften aus, die Zeitungen erreichen, sind die Ungeimpften vor allem: anonym. Ein namenloser junger Mann etwa will sich „nicht vorschreiben lassen, ob ich mich impfe“. Eine im Kreis Esslingen wohnende Studentin der PH Ludwigsburg protestiert – ausnahmsweise mit Namensnennung – gegen „Diskriminierung und Exklusion“ und die selbst zu bezahlenden Tests, „wenn man sich als junger Mensch aus persönlichen Gründen (noch) nicht gegen Corona impfen lassen möchte“. Eine angebliche Altenpflegerin zieht alle Register: „Wenn es (...) zu einer Impfpflicht in der Pflege kommt, werde ich meinem Leben ein Ende setzen.“ Es folgt das übliche Querdenker-Potpourri samt Zweifeln an der Existenz des Coronavirus.
Die Realität wird verleugnet
Henning Wege, Chefarzt der Inneren Medizin am Klinikum Esslingen, bezeichnet solche Coronaleugnung schlicht als „Realitätsverleugnung“. Eine nicht zu verleugnende Realität sei hingegen, dass derzeit „rund 90 Prozent der Covid-Patienten auf unserer Intensivstation ungeimpft sind“. Exakt dieselbe Verhältniszahl nennt Jan Schnack, Pressesprecher der Medius-Kliniken im Landkreis Esslingen, für die Häuser in Ruit, Kirchheim und Nürtingen. Bei den geimpften Covid-Intensivpatienten handle es sich meist um Menschen mit zwei oder mehr Vorerkrankungen, ergänzt er.
Doch je eindeutiger der Befund, umso diffuser die Motive der Impfverweigerer, wie eine Forsa-Befragung im Oktober unter 3 048 ungeimpften Personen ergab. Resultat: Es gibt – mit Überschneidungen – vier unterschiedlich motivierte Typen von Corona-Impfgegnerschaft oder -skepsis. Die beiden ersten basieren auf Verschwörungserzählungen: Die klassischen Coronaleugner – 19 Prozent der Befragten – bezweifeln oder bestreiten die Existenz des Virus. Dass Corona ein Mittel zum Zweck der Durchsetzung staatlicher Kontrollsysteme oder gar totalitärer Machtansprüche sei, glauben laut der Erhebung 69 Prozent der Ungeimpften. Der dritte Typus sind die Skeptiker, die weder Corona leugnen noch von einer bevorstehenden Diktatur ausgehen, wohl aber die Maßnahmen für übertrieben oder für schädlicher als die Pandemie selbst halten. Auch wird hier – ebenso wie in den anderen Gruppen – die Behauptung geteilt, coronakritische Wissenschaftler bekämen keine Plattform in Politik und Medien (89 Prozent der Befragten). An vierter Stelle stehen Menschen, die Impffolgen befürchten oder eine Impfung als unnötig erachten, aber nichts mit „Querdenker“-Positionen zu tun haben wollen.
Quer durch alle Gruppen bekunden 74 Prozent der Befragten, dass sie die Impfstoffe für nicht ausreichend erforscht halten. Chefarzt Wege widerspricht vehement: „Es sind die am besten erforschten Impfstoffe überhaupt“ – auch weil die weltweite Pandemie eine zuvor ungekannte Datenmenge liefere. Schwere Impfreaktionen seien äußerst selten – weit seltener als das Risiko eines schweren Covid-Verlaufs.
„Die meisten sagen, sie hätten es bisher halt nicht geschafft, sich impfen zu lassen.“ Eine faule Ausrede, wenn man der Forsa-Erhebung Glauben schenkt. Dort gibt nur ein Prozent der Befragten diesen Grund an. Ob der Intensiv-Schock eine Läuterung zur Impfwilligkeit bewirkt, kann Wege nicht beantworten: „Das ist zunächst mal kein Thema, weil eine Impfung bei frisch Genesenen ja erst nach sechs Monaten empfohlen wird.“ 65 Prozent der Forsa-Befragten bekunden übrigens, sich auf keinen Fall gegen Corona impfen lassen zu wollen.
Henning Wege, der selbst an der anthroposophisch orientierten Universität Witten/Herdecke studiert hat, meint: „Bei esoterischen Impfgegnern kommt man mit der Vernunft an die Grenze, die kann man mit Argumenten nicht überzeugen.“