Zwischen Neckar und Alb

„Wir brauchen die Kultur“

Auszeichnung Die frischgebackene Landesjazzpreisträgerin Franziska Ameli Schuster gibt im Interview Einblicke in ihr kreatives Spektrum und verrät, wie es ihr in Zeiten von Corona geht. Von Volker Haußmann

Foto: Ivan Hendricks

Die Sängerin Franziska Ameli Schuster bekommt den Landesjazzpreis 2020. „Franziska Ameli Schuster begeistert mit ihrer ungemein vielschichtigen Musik, die voller Experimentierfreude ist und unerhörte Brücken zwischen Jazz, Klassik, World und elektronischer Musik schlägt. Sie hat eine ureigene Musiksprache entwickelt - energetisch, emotional und sehr einnehmend“, sagte Kunststaatssek­retärin Petra Olschowski bei der Bekanntgabe in Stuttgart. Die Musikerin ist in Neuffen aufgewachsen und in Nürtingen zur Schule gegangen. Danach studierte sie Musik in Freiburg, Stuttgart, Amsterdam und Barcelona. Im Interview spricht Franziska Ameli Schuster über ihre Musik und gibt einen Einblick, wie sie mit der Corona-Pandemie umgeht.

Frau Schuster, wie geht es Ihnen gesundheitlich in diesen Tagen?

Franziska Ameli Schuster: So viel Ruhe wie im Moment ist für mich ungewohnt. Vor Corona bin ich auch auf die Bühne gegangen, wenn ich mich nicht hundertprozentig fit gefühlt habe, und konnte mich dadurch nie auskurieren. Jetzt kann ich mir Zeit lassen, Schlaf aufholen, spazieren gehen und Kraft tanken. So langsam macht mir aber auch die unsichere Perspektive zu schaffen, da ich auch dafür lebe, auf die Bühne zu gehen.

Wie haben Sie erfahren, dass der Jazzpreis des Landes in diesem Jahr an Sie geht?

Schuster: Der Juryvorsitzende Thomas Siffling hatte mich im Januar angerufen und mir die Nachricht überbracht. Zuerst war ich sprachlos und konnte es nicht fassen. Ich bin direkt nach dem Telefonat in ein Kölner Café gegangen und habe Sekt bestellt. Erst nach und nach habe ich begriffen, was da gerade passiert ist.

Sie sind nach Ihrem Bruder Sebas­tian die Zweite in der Familie, die den Landesjazzpreis bekommt. Gibt es im Hause Schuster ein Faible für improvisierte Musik?

Bei uns zu Hause wurden wir eher im Bereich der Klassik geprägt, obwohl ich mich auch gut daran erinnere, wie mein Vater mir einen Boogie-Woogie am Klavier beibrachte. Bis vor Kurzem war er noch Musiklehrer am Hölderlin-Gymnasium in Nürtingen. Meine Mutter ist bis zu diesem Jahr Geigenlehrerin an der Musikschule. Zusammen sind beziehungsweise waren sie beim Nürtinger Kammerorchester (NKO). Das Abschiedskonzert meines Vaters wäre am 29. März gewesen, ist aber leider wegen Corona entfallen. Ich glaube, die Liebe zur improvisierten Musik entdeckte ich, als ich zu Hause am Klavier rumklimperte und dazu gesungen habe, aber auch im Zusammenspiel mit Freunden in Bands.

In welchem Alter haben Sie angefangen, Musik zu machen?

Ich bin mit Musik groß geworden. Zu Hause haben wir immer viel gesungen und musiziert. Angefangen habe ich mit sechs Jahren am Klavier, dann kam die Geige, was dann aber nicht allzu lange gehalten hat. Mit elf hab ich mich am Schlagzeug ausprobiert und mit 13 schließlich mit der klassischen Gesangsausbildung bei Susann Finckh-Bucher in Nürtingen begonnen. Neben der Schule, die mir nie so leichtgefallen ist, war das Singen ein Ausgleich und Ventil, um meine Gefühle zu zeigen.

Welche Instrumente spielen Sie?

Mein Hauptinstrument ist die Stimme, dann spiele ich noch Klavier, Synthesizer, Akkordeon und bediene immer wieder noch allerlei Effektgeräte und beschäftige mich mit der Musikproduktion am Computer.

Sie haben während Ihres Gesangsstudiums von der klassischen Musik zum Jazz und damit auch die Hochschulen gewechselt. Was hat Sie dazu bewogen?

Ich hatte gemerkt, dass ich auf lange Sicht gerne eigene Musik machen möchte. Neben dem klassischen Gesangsunterricht hatte ich ab dem 16. Lebensjahr eigene Bands. Es war damals keine Entscheidung gegen die Klassik, sondern vielmehr die Entscheidung für mehr Freiheit. Ich fand es immer blöd, dass ich mich überhaupt für eine Stilrichtung entscheiden musste.

Ihre Fans in Nürtingen und Umgebung kennen Sie hauptsächlich als Frontfrau der Worldbeat-Formation RasgaRasga. Sind sie auch in anderen Formationen aktiv?

Zu meinen Hauptprojekten zählt die Band Ameli in the woods, eine Indie-Jazz-Formation, mit der ich auch mein Konzert zur Preisverleihung bestreiten werde. Mit dem elektronischen Duo Ameli Paul bespiele ich international die Club- und Festivalbühnen. Und dann noch die Mannheimer The Huggee Swing Band, mit der ich letzten Herbst ein Swing-Album herausbrachte und auf Tournee war.

Wie hart trifft Sie als Musikerin die Coronakrise?

Ich glaube, die Coronakrise ist für uns alle gerade sehr herausfordernd. Das Schwierige dabei ist, dass man nicht planen kann. Hieß es vor Kurzem noch, dass bis Juni wieder alles beim Alten sein könnte, sind aktuell alle Festivals und Konzerte für den Sommer abgesagt. Das tut schon sehr weh, zumal mein Sommer komplett ausgebucht war. Dennoch versuche ich jetzt, nicht den Kopf hängen zu lassen, und schreibe und produziere viel neue Musik. Eine andere tolle Seite ist auch, dass ich durch dieses ungewollte „Innehalten“ noch mal deutlicher spüre, wie sehr ich es liebe, unter Menschen zu sein und meine Musik mit anderen zu erleben. Ich kann es kaum erwarten, wieder Konzerte zu spielen.

Bis wann wird ein regulärer Konzertbetrieb wieder möglich sein?

Das weiß gerade keiner. Ich hoffe sehr, dass kleinere Konzerte bald wieder stattfinden dürfen. Denn auch für viele Veranstalter ist diese Situation gerade ein absolutes Desaster. Der aktuelle Zustand macht deutlich, wie viel schöner das Leben mit Kultur ist und wie sehr wir sie brauchen. Viele Fes­tivals und Kollektive, vor allem in der Subkultur, brauchen Unterstützung, damit wir auch nach der Krise eine bunte Vielfalt an kulturellen Angeboten wahrnehmen können.

Die Jazzopen in Stuttgart wurden abgesagt. Damit entfällt auch Ihr Konzert, bei dem Ihnen der Preis verliehen werden sollte. Gibt’s schon einen Ersatz?

Das ist leider noch nicht bekannt.

Was haben Sie mit den 15 000 Euro Preisgeld vor?

Momentan ermöglicht mir das Preisgeld, die aktuelle Lage zumindest finanziell etwas entspannter anzugehen. Außerdem ist es seit zwei Jahren mein Traum, ein Ameli-in-the-woods-Album aufzunehmen, wofür mir immer die finanziellen Mittel gefehlt haben. Mit dem Preisgeld kann ich das endlich ohne Kompromisse realisieren und Studiosessions, Produktion, Musikvideos und Promotion bezahlen. Einen kleinen Teil davon spende ich an die No-Border-Kitchen, eine selbstverwaltete Organisation auf Lesbos, die sich um die Verpflegung von Geflüchteten kümmert. Gerade jetzt herrschen in den Refugee Camps in Griechenland unzumutbare Zustände, die ich nicht tolerieren kann.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Ich wünsche mir, dass wir nach Corona nicht einfach so weitermachen, eine Welt, in der man sich sieht, sich wahrnimmt und füreinander da ist. Mir fällt auf, wie egoistisch unser Verhalten als Mensch oft ist, sei es die Massentierhaltung, der Umgang mit Schwächeren oder unserer Natur. Ich wünsche mir, dass wir uns stärker mit den Konsequenzen unseres Handelns auseinandersetzen und rücksichtsvoller agieren. Es kann nicht die Lösung sein, nach immer mehr Wachstum zu streben, wenn es bedeutet, dass nur wenige davon profitieren.