Zwischen Neckar und Alb
Wolfgang Bosbach geht mit der eigenen Partei ins Gericht

Mitgliederabend Der CDU-Politiker spricht bei der VR Bank Hohenneuffen-Teck in Frickenhausen.

Frickenhausen. Der Abend mit dem Christdemokraten Wolfgang Bosbach für Kunden und Mitglieder der VR Bank Hohenneuffen-Teck sollte eigentlich schon vergangenes Jahr stattfinden. Dann kam Corona. Also habe man storniert und neu geplant, sagt Bank-Vorstand Thomas Krießler. 

Und dann steht er auf der Bühne, lässig, ohne Manuskript, mit all seiner Erfahrung aus 49 Jahren in der Politik und mit dem Rheinländern gegebenen Humor. Das Locker-Flockige zieht sich bei dem 69-jährigen denn auch durch den gesamten Abend. Schwere Themen verpackt er augenzwinkernd, macht Zusammenhänge mit bildhaften Beispielen verständlich.

Das Ende der Volksparteien

Zunächst aber gibt es eine kleine Wahlanalyse. Verschiedene Gründe macht der erfahrene Wahlkämpfer für die Niederlage seiner Partei aus. So sei erstmals in 53 Jahren der Amtsinhaber nicht mehr angetreten. Bei rund 30 Prozent Unentschlossenen unter den Wählern sei das mitunter das Zünglein an der Waage, weiß er. Zweitens erleben die großen Volksparteien in Deutschland eine Entwicklung, die europaweit zu spüren ist: Das Ende der großen Volksparteien. „Die Volksparteien verlieren ihre Bindungen“, lautet seine Einschätzung. Das Durchschnittsalter bei der CDU liege bei rund 60 Jahren, bei den Wählern aber bei 40. Auch klassische Milieus lösten sich auf. Ländlicher Raum, der Kirche zugehörig – gleich CDU-Wähler –, diese Rechnung geht nach Wolfgang Bosbachs Meinung nicht mehr auf. Und auch transparenter, attraktiver für junge Leute müsse Politik werden. Überfällig ist seiner Ansicht nach die Wahlrechtsreform: Nur so bekommen Direktgewählte im Parlament wieder echtes Gewicht.

Zu tun gibt es nach Ansicht Bosbachs für die Parlamentarier einiges. Die drei großen sozialen Systeme müssten zukunftsfit gemacht werden. Das Gesundheitssystem muss nach der Pandemie, die die Krankenkassen rund 14 Milliarden Euro gekostet habe, stabilisiert werden. Für noch wichtiger hält der Rheinländer allerdings, dass die Pflege umgebaut wird. Derzeit werde hier noch viel in der Familie geleistet. In diesem Umfang sei dies aber künftig nicht mehr möglich. Nicht nur, weil die Kinder und Enkel fehlen.

Die Rente gehört nach Bosbachs Ansicht überarbeitet. 90 Milliarden Euro pumpt der Staat jährlich in das System, das ursprünglich von Arbeitnehmern und Arbeitgebern finanziert werden sollte. Bezogen die Menschen vor einer Generation im Schnitt neun Jahre Rente, sind es inzwischen durchschnittlich 18 Jahre. „In der nächsten Generation werden es 27 Jahre sein“, kündigt Bosbach an. Er fordert eine Flexibilisierung beim Eintrittsalter, um jenen, die gerne weiter arbeiten wollen, dies auch zu ermöglichen. Das entlaste nicht nur die Rentenkassen, sondern erhalte auch Lebenserfahrung: „Ja, die Jungen sind schneller. Aber die Alten kennen die Abkürzungen“, meint er augenzwinkernd. Auch die Digitalisierung sei eine immense Herausforderung, sagt der Jurist.

Die Menschen erlebten in den vergangenen 250 Jahren mit Erfindung von Dampfmaschine, Automobil, Telefon, mit der Elektrifizierung und letztlich Internet und Smartphone mehr Veränderungen als in den 300 000 Jahren davor, verdeutlicht er. Deutschland sei nach wie vor weltweit eine der führenden Wirtschaftsnationen – jedoch in den alten Industrien. Ausruhen darf man sich darauf nach Bosbachs Meinung nicht. Um das Land wettbewerbsfähig zu halten, brauche es deshalb gute Produkte und Dienstleistungen. Sein Appell an die künftige Regierung lautet „Bildung, Bildung, Bildung“. Nach gut einer Stunde ist der launige Exkurs in die großen Themen der Politik vorbei. Und manch Zuhörer geht mit dem Gefühl nach Hause: Politik muss  gar nicht langweilig sein. Nicole Mohn