Als aus Mapei Quick-Step wurde, war Jannik Steimle sieben Jahre alt und interessierte sich wenig für schnelle Beine auf zwei Rädern. Als sich das änderte, waren Stars wie Paolo Bettini oder Tom Boonen die Helden im königsblauen Jersey, deren Triumphe in den Ardennen und im Vélodrome von Roubaix in epischen Bildern daheim in Weilheim über den Fernsehschirm flimmerten.
Am Sonntag vor zwei Wochen stand Jannik Steimle beim Albtraufmarathon der Mountainbiker in Gruibingen als Zuschauer an der Strecke, als plötzlich das Handy klingelte. Am anderen Ende der Leitung: Patrick Lefevere, General-Manager und Herr über das derzeit erfolgreichste Radsportteam in der World-Tour mit einem Jahres-Budget von mehr als 20 Millionen Euro. Die überraschende Offerte des 64-jährigen Belgiers, der Steimle schon vor Wochen einen Lehrlingsvertrag als „Stagiaire“ ermöglicht hatte: ein festes Engagement als Profi für zwei Jahre. Damit fährt der Weilheimer künftig an der Seite von Teamkollegen wie Julian Alaphilippe oder Philippe Gilbert, dem diesjährigen Sieger bei Paris-Roubaix. „Ich weiß nicht, was im Moment passiert“, sagt Jannik Steimle und wirkt dabei wie einer, der aus der Ferne auf seine eigene Geschichte blickt. Drei Jahre ist es her, dass er vom MRSC Ottenbach zum drittklassigen Team Felbermayr nach Oberösterreich wechselte. Es waren seine ersten Test-Kilometer im bezahlten Radsport. Großen Respekt von Teamchefs und Kollegen genoss er schon damals. Seine Rennhärte, seine mentale Stärke, die Bereitschaft, an Grenzen zu gehen, sind Eigenschaften, die im Radsport den Unterschied ausmachen. Doch erst in diesem Sommer änderte sich alles schlagartig. Zwei Etappensiege bei der Österreich-Tour, die Fachwelt jubelte und bei seinem Arbeitgeber, dem Team Vorarlberg Santic, wusste man: das war‘s.
Erst Lehrling, dann Teamkollege
Vom Talent unter vielen zum Ziel- objekt der Topteams - ohne Umwege. Schon der Schnupper-Vertrag als „Stagiaire“ beim Branchenführer der Worldtour galt im August als Überraschung. Der jetzige Kontrakt, unterbreitet von einem der mächtigsten Männer der Branche, ist die Eintrittskarte in den Tempel des Radsports.
Am Sonntag trafen sich beide zu einem Vieraugengespräch im Teamhotel. Danach wurde das Papier unterzeichnet. Ein Termin, der offenbar beflügelte: Nur zwei Tage später am Dienstag bedankte sich Steimle beim traditionellen Eintagesrennen Textielprijs Vichte mit seinem ersten Sieg im blauen Trikot. Es war der Schlusspunkt hinter zwei starke Rennwochen in Belgien. „Wir mussten nicht lange überlegen, ob wir ihn bei uns haben wollen“, sagt Patrick Lefevere. „Er zeigt, dass er bereit ist, hart an sich zu arbeiten und dass er von den erfahrenen Kollegen im Team lernen will.“
Sacken lassen, bewusst werden, dass nun ein neuer Lebensabschnitt beginnt. Zwei Stunden lockeres Training boten dafür gestern Gelegenheit. Ende Oktober ist erstes Teamtreffen, danach werden die Rennpläne besprochen. Bei ein bis zwei Frühjahrsklassikern hofft der Weilheimer am Start sein zu können. Ende Januar beginnt die Saison mit der Tour Down Under und Steimle sagt: „Am liebsten wäre mir, es ginge jetzt schon los.“