Turnen: Felix Pohl will bei seiner letzten Junioren-EM in Sofia ins Mehrkampf-Finale
Abgang ohne Wackler

Vor einem Monat ist er 18 geworden. Auch sportlich ist Kirchheims erfolgreichster Turner auf dem Weg zur Vollreife. Bei seiner zweiten und gleichzeitig letzten Junioren-EM ist Felix Pohl einer von drei Gesetzten im deutschen Team. In der bulgarischen Hauptstadt Sofia geht die DTB-Riege kommenden Mittwoch (ab 10 Uhr) mit Finalchancen in die Titelkämpfe.

Kirchheim. Ein Körper, der mitspielt, ist im Hochleistungssport Turnen mehr noch als in anderen Sportarten das wertvollste Kapital. Das wird Felix Pohl dringender denn je brauchen in einem Jahr, in dem sportlich viel auf dem Spiel steht. Über die Qualifikationswettkämpfe im Spätsommer und Herbst will er den Sprung in den deutschen B-Kader schaffen und sich am 21. Mai in Sofia mit einem Finalplatz bei den Europameisterschaften aus dem Juniorenteam verabschieden. Das Erreichen des EM-Mehrkampffinales ist erklärtes Ziel. Darüber hinaus ist der Kirchheimer Bundesligaturner auch in seinen Paradedisziplinen am Reck und am Boden in der Gerätewertung nicht ohne Finalchancen.

Vor zwei Jahren war das noch anders. Bei den europäischen Titelkämpfen in Montpellier konnte er als Jüngster in der Mannschaft nach einer Knieverletzung nur ein eingeschränktes Programm absolvieren. Am Ende stand ein respektabler siebter Platz für die deutsche Riege, deren Kopf der ein Jahr ältere Daniel Weinert war. Sein heutiger Teamkollege beim MTV Stuttgart bescherte mit Silber am Barren dem DTB-Nachwuchs 2012 die einzige EM-Medaille. Diesmal ist es der Kirchheimer, dem die Führungsrolle zufällt. Gemeinsam mit Luca Ehrmantraut (TV Limbach) und dem Erfurter Nils Dunkel ist Felix Pohl bei der EM fest gesetzt. Seit vergangener Woche bestreitet die Mannschaft ihr abschließendes Trainingslager im Bundesleistungszentrum in Kienbaum vor den Toren Berlins. Dort fällt heute Abend die Entscheidung, welche der zwölf Kandidaten am Sonntag mit nach Sofia fliegen. Die Startfolge an den einzelnen Geräten wird erst nach einem letzten Test-Wettkampf am Samstag in Dessau festgelegt.

Wie groß die Endkampf-Chancen sind, können nicht einmal die Trainer so recht beurteilen. Im europäischen Vergleich liegt die Spitze so eng beieinander, dass aufgrund der Resultate bei Länderkämpfen kaum eine Aussage möglich ist. „Wenn Felix einen kompletten Mehrkampf turnt, ist das Finale durchaus drin“, wagt Landestrainer Klaus Nigl eine Prognose. Wenn es einer wissen kann, dann er. Nigl, der von 2001 bis nach den Olympischen Spielen 2008 in Peking Bundestrainer war, betreut auch den MTV Stuttgart in der Bundesliga. Er verfolgt die Laufbahn des jungen Kirchheimers, seit der in der Jugend anfing, deutsche Meistertitel wie Sammelbildchen zu horten. „Felix größte Stärke ist seine Koordinationsfähigkeit“, sagt der 54-Jährige. „Er verliert auch bei schwierigsten Übungsteilen selten die Orientierung.“ Er kennt aber auch die Schwierigkeiten, mit der ein heranwachsender Turner zu kämpfen hat. Mit 1,77 Metern ist Felix Pohl ausgesprochen groß für einen Turner. Schnelles Wachstum schafft Probleme in einer Sportart, in der Nuancen entscheidend sind. Muskuläre Disbalancen, veränderte Hebel, die gesamte Mechanik muss ständig neu justiert werden. Eine Zeit, die über die weitere Karriere entscheidet. „Nur wem der nahtlose Übergang von der Jugend zu den Aktiven gelingt, schafft es ganz nach oben,“ sagt Nigl.

Felix Pohl hat diese wilden Wasser weitgehend sicher durchschwommen. Trotz einiger Zwangspausen wie im vergangenen Frühjahr, als er nach einem Bandscheibenvorfall monatelang nur eingeschränkt trainieren konnte. Er hat die Schwachstellen am Körper ins Visier genommen, Übungsteile neu kombiniert und stundenlang im Kraftraum geschuftet. Intelligente Trainingssteuerung nennt das der Trainer, der seinen Schützling dafür ausdrücklich lobt. Der Erfolg gibt ihm recht: Viel ist nicht geblieben vom einstigen Turnfloh im Dress des VfL Kirchheim. Sieben Kilo reine Muskelmasse hat er im vergangenen Jahr zugelegt. Inzwischen turnt Felix Pohl wieder beschwerdefrei – und erfolgreich: Als Jüngster im Team steuert er mit dem Starensemble des MTV Stuttgart auf den Gewinn der deutschen Meisterschaft zu. Nach Ende der Halbserie liegt das Team um Marcel Nguyen, den zweifachen Silbermedaillengewinner von London, ungeschlagen an der Spitze der Bundesliga.

Für Pohl ist es bereits seine zweite Saison im Dress des Erstligisten, doch seine erste verletzungsfreie. Zwei Einsätze am Pauschenpferd, mehr war nicht drin im vergangenen Jahr. In der laufenden Saison hat er immerhin schon zwei solide Wettkämpfe für den MTV bestritten. Mit einer „beachtlichen Leistung“, wie Klaus Nigl findet. In der zweiten Saisonhälfte hofft er nun auf seine Chance, und die wird er auch bekommen, wenn man seinem Trainer glaubt. Obwohl die Stuttgarter ihren ohnehin starken Kader im April noch weiter verstärkt und den letzten Ausländerplatz mit dem US-Amerikaner Donnell Wittenberg besetzt haben. Daraus spricht Entschlossenheit auf dem Weg zur Meisterschaft, schließlich wird es in den drei verbleibenden Wettkämpfen im Oktober und November ernst: Dann warten mit der KTV Obere Lahn, dem TV Schwäbisch Gmünd-Wetzgau und der KTV Straubenhardt die drei direkten Verfolger als Gegner.