London/Kirchheim. Mit 38,37 Sekunden lief das Quartett mit Julian Reus (TV Wattenscheid), Tobias Unger (VfB Stuttgart), Alexander Kosenkow (TV Wattenscheid) und Lucas Jakubczyk (SSC Berlin) im Vorlauf die schnellste international jemals erzielte Zeit einer deutschen Staffel. Aber das reichte nicht, um in den Endlauf zu kommen. In London hagelte es Landesrekorde und Jahresbestleistungen – die Konkurrenz war einfach besser. Deutschland lief exakt zwei Zehntelsekunden zu langsam und blieb damit auf der Strecke.
Die Enttäuschung war hinterher naturgemäß groß, auch wenn Tobias Unger betonte: „Wir haben uns nicht viel vorzuwerfen. Wir waren schneller als in Helsinki, haben einen guten Job gemacht. Umso trauriger ist es, dass es nicht gereicht hat. Es war verrückt, was vorne abging, dass man 38,17 Sekunden brauchte, um weiterzukommen. Das zeigt das Niveau, das bei Olympia herrscht.“ Kollege Jakubczyk meinte nach dem Aus mit Applaus: „Hier kommt keiner hin mit einer Humpeltruppe. Mit so einer Zeit, wie wir sie gelaufen sind, hat man bei Olympischen Spielen schon Medaillen geholt.“
Bei der Analyse des Vorlaufs zeigte sich jedoch, dass die deutsche Staffel vielleicht etwas zu sehr auf Sicherheit gelaufen war. Die Erkenntnis von Kosenkow: „Mittlerweile muss man als deutsche Staffel auch im Vorlauf risikoreicher agieren. Wir wollten eine sichere Variante wählen, das hat nicht gereicht. In jedem Wechsel war bestimmt noch ein Zehntel drin.“ Unger ergänzte: „Wir wollten sicher durchkommen, damit nicht dasselbe passiert wie bei der WM in Daegu.“ 2011 war im Endlauf die Staffel geplatzt, weil Sebastian Ernst den zu früh enteilten Schlussläufer Alexander Schaf nicht mehr erreicht hatte.
Zu wenig Wechselrisiko war das eine, eine möglicherweise verfehlte punktuelle Vorbereitung auf London das andere. In Weinheim war das Quartett auf dem Leistungszenit. Kurz vor den Spielen gab jeder sein Allerbestes, um seinen olympischen Staffelplatz nicht zu verlieren. Denn im Hintergrund lauerten mit Martin Keller, dem Schützling von Bundestrainer Ronald Stein, und Jens Knipphals zwei weitere Sprinter auf ihre Einsatzchance. Zwei Wochen später zeigte die Leistungskurve schon wieder leicht nach unten.
Trotzdem hatten sich die DLV-Sprinter für London einiges ausgerechnet. Insgeheim träumten sie von Bronze. Wie realistisch das war, zeigte sich am späten Samstagabend, als Trinid udn Tobago in 38,12 Sekunden hinter Olympiasieger Jamaika in 36,84 (Weltrekord) und USA in 37,04 Sekunden auf Platz drei die Medaille abholte, mit der Tobias Unger im Alter von 33 Jahren seine Karriere gekrönt hätte.
Konsequenzen wie Mittelkürzungen, Kader-Rückstufungen oder ähnliches haben die Leichtathleten, die mit acht Medaillen ihr Soll übererfüllt haben, nicht zu befürchten. Getroffen hat es nur Alexander Schaf – allerdings schon vor den Spielen. Dem Schützling von Trainer Micky Corucle, der in Kirchheim trainiert und wie Unger für den VfB Stuttgart startet, wurde der Förderplatz bei der Bundeswehr nach einem Jahr wieder gestrichen. Daegu-Sündenbock Schaf konnte in dieser Saison, gehandicapt durch eine langwierige Verletzung, nicht an seine frühere Form anknüpfen. Nun überlegt er, ob er als Doppel-Staatsbürger international künftig für die Ukraine läuft.