Ein kräftiger Wintereinbruch und die sozialen Medien machen’s möglich: In gerade einmal 24 Stunden hat die Wintersportabteilung des TV Neidlingen am Wochenende einen Skisprungwettbewerb auf die Beine gestellt, der sich selbst vor einer langfristig geplanten Veranstaltung in keinerlei Hinsicht hätte verstecken müssen. „Das kam völlig aus dem Nichts zustande, damit hätten wir dieses Jahr definitiv nicht mehr gerechnet“, gesteht Organisationsleiterin Daniela „Spagge“ Ambacher.
Logisch, war doch wenige Tage zuvor bei noch knapp 20 Grad und strahlendem Sonnenschein selbst in der Reußensteingemeinde an ein Schnee-Event nicht annähernd zu denken gewesen. „Als am Samstagvormittag dann aber plötzlich schon der Boden mit Schnee bedeckt war, kamen wir langsam ins Grübeln, ob wir das nicht nutzen sollten“, schildert Ambacher die ersten Gedankenspiele. Um 16 Uhr war es dann spruchreif: Am nächsten Tag findet das traditionelle Ernst-Ruoß-Gedächtnisspringen statt.
Fortan liefen die Leitungen heiß – mit Erfolg: Whatsapp-Gruppen, Social-Media-Beiträge und jede Menge Mundpropaganda sorgten dafür, dass tags darauf nicht nur 22 wagemutige Athleten aus Neidlingen, Kirchheim, Bad Boll, Weilheim und Unterlenningen, sondern auch rund 100 Zuschauer samt Bürgermeister Jürgen Ebler am Edelwang auftauchten.
Profitiert hat das spontane Sprung-Event dabei auch von den wetterbedingten Spielabsagen auf den lokalen Fußballplätzen, was den einen oder anderen Neidlinger Kicker doch noch dazu brachte, die Fußballschuhe kurzerhand gegen die Skistiefel einzutauschen. „Aufgrund der geringen Vorlaufzeit hatten wir eigentlich nur mit den Angehörigen der Springer und des Orga-Teams gerechnet, aber es sind dann doch noch viele Besucher von auswärts dazugekommen“, zeigt sich Spagge Ambacher hochzufrieden. Auch das Feedback des Publikums im Nachhinein sei ausschließlich positiv gewesen. „Typisch Neidlingen!“, befand beispielsweise Markus Stolz vom TSV Jesingen, „Ein bisschen Schnee und schon wird eine Veranstaltung gemacht.“
In sportlicher Hinsicht blieb der Schanzenrekord von 31,0 Metern unangetastet, was laut Ambacher aber vor allem den Bedingungen geschuldet war: „Der Schnee war nicht so fest, deshalb konnten die Athleten beim Anlauf auch nicht so viel Geschwindigkeit aufnehmen.“ Nichtsdestotrotz schaffte es Gesamtsieger Pascal Maier vom TSV Weilheim bei seinem weitesten Sprung auf beachtliche 28,5 Meter.
Insgesamt dreimal stürzten sich die Teilnehmer mit handelsüblichen Alpinskiern vom Schanzentisch in die Tiefe, die beiden besten Durchgänge davon wurden jeweils gewertet. Die meisten kamen sicher auf den Brettern ins Ziel, der eine oder andere wiederum landete aber auch auf dem Hosenboden. Haltungsnoten und Telemark-Bonus spielen beim Ernst-Ruoß-Gedächtnisspringen, das letztmals 2018 stattgefunden hatte, keine Rolle. „Deshalb ist es jedes Mal interessant, die eine oder andere ganz ‚neue‘ Technik zu beobachten“, scherzt Ambacher.
Ergebnisse
Schüler: 1. Pascal Maier (TSV Weilheim) 27,0 Meter; 28,5; 26,5; 2. Finn Herberth (TV Unterlenningen) 24,5; 24; 26; 3. Tim Amiri (TV Neidlingen) 21,5; 22,5; 24; 4. Max Pfutterer (TV Neidlingen) 21,5; 22; 23,5; 4. Paul Fischer (TV Neidlingen) 22; 23; 22,5
Jugend: 1. Marius Hepperle (TV Neidlingen) 25; 26; 26; 2. Louis Hepperle (TV Neidlingen) 25; 25; 26,5; 3. Finn fischer (TV Neidlingen) 25; 24,5; 25; 4. Luca Gökeler (TV Unterlenningen) 24;25; 24; 5. Jonathan Luik (TV Neidlingen) 20,5; 24; 22,5; 6. Sebastian Hartmannsgruber (SVL Kirchheim) 22; 21,5; 23; 7. Lenni Sohn (TV Neidlingen) 16; 16; 16
Herren: 1. Niko Waldherr (TV Neidlingen) 22; 24,5; 24; 2. Christoph Hepperle (TV Neidlingen) 24; 17; 24; 3. Fabian Latzko (TV Neidlingen) 18; 25; 22; 4. Peter Pfauth (TV Neidlingen) 24; 21,5; 21,5; 5. Stefan Hepperle (TV Neidlingen) 21; 22; 22,5; 6. Sven Melber (TV Neidlingen) 18,5; 22,5; 21,5; 7. Martin Schempp (SV Bad Boll) 17,5; 19; 23,5
Herren 21: 1. Benjamin Hepperle (TV Neidlingen ) 26; 26,5; 26,5; 2. Tim Fiedler (TV Neidlingen) 24; 26; 24
Die Schanze steht seit 70 Jahren
Premiere feierte der Skisprungsport in Neidlingen 1952. Nachdem die Leichtathleten des TVN im Jahr zuvor eine Wintersportabteilung gegründet hatten, begannen sie, nach den Plänen des Kirchheimer Bauingenieurs Hansrudi Wäschle im Gewann Edelwang eine Schanze zu bauen – selbstverständlich in Eigenleistung. Umbauten erfolgten in den Jahren 1982 sowie 2008/2009. Seitdem fanden insgesamt vier Springen statt, das letzte vor dem Spontanevent vom Wochenende war 2018.
Am 3. Februar 1952 fand der erste Wettbewerb auf der Edelwangschanze statt. Sieger mit 29 Metern wurde der Geislinger Bernhard Lindenlaub vom SC Wiesensteig.
Ärger um die Veranstaltung gab es 1955, als sich der Schwäbische Skiverband am Namen störte, den die Neidlinger ihrem Event gegeben hatten: „Kirschwasserspringen“ gezieme sich nicht, da sich Alkohol und Sport nicht vertragen würden.
Der heutige Name Ernst-Ruoß-Gedächtnisspringen geht auf den Initiator für die Schanze und Ehrenabteilungsleiter der Skiabteilung zurück. tb