Wenn am Freitag um 21 Uhr in München mit der Partie Deutschland gegen Schottland die Fußball-EM eröffnet wird, fiebert einer doppelt mit. „Egal, wer gewinnt, wir sind Sieger“, sagt Alec Farrell verschmitzt. Mit „wir“ meint der 86-Jährige aus Reichenbach sich und seine Familie, eine der wenigen in der Region mit schottischen Wurzeln.
Farrell kam 1964 aus Edinburgh ins Schwabenland, arbeitete für die US-Army in Göppingen, gründete eine Familie – Sohn, Tochter und die vier Enkelkinder haben alle schottische Vornamen und lieben die Heimat des rüstigen Vaters und Großvaters über alles. Zumal der die Traditionen wachhält: Kilt und Dudelsack dürfen im Eigenheim oberhalb Reichenbachs mit dem beeindruckenden Alb-Panorama („Der Anblick erinnert mich an die Highlands“) ebenso wenig fehlen wie eine stattliche Sammlung des schottischen Nationalgetränks – Alec Farrell betrieb jahrelang einen Whisky-Shop mit Verkostung und musikalischer Begleitung. Altershalber hat er dieses Hobby mittlerweile aber ebenso eingestellt wie die Drei-Mann-Band, mit der er regelmäßig im süddeutschen Raum unterwegs war. „Zu anstrengend wegen der ganzen Übernachtungen“, winkt er schmunzelnd ab.
Golf-Handicap von 12,4
Dafür bleibt wenigstens mehr Zeit für seine große Passion, das Golfspielen. Alec Farrell ist Gründungsmitglied des GC Hetzenhof, wo er sich über die Jahrzehnte zu einem veritablen Spieler entwickelt hat. Ein Handicap von 12,4 dürften auch wesentlich Jüngere als er nicht haben. „Ich genieße die frische Luft“, schwärmt er. „Wenn es geht, möchte ich noch mit 100 Golf spielen.“ Wenn er nicht den Schläger schwingt, greift er am liebsten zum Pinsel und malt Aquarelle oder tritt als Solist mit Gitarre und Dudelsack auf.
Anhänger der „Fohlen“
Das nächste Mal womöglich schon morgen Abend: „Bei jedem schottischen Tor gehe ich auf den Balkon und spiele Dudelsack“, lacht er, der Zeit seines Lebens glühender Fußball-Fan ist. Via Internet verfolgt er regelmäßig die von den Glasgower Klubs Celtic und Rangers dominierte schottische Liga, in der er es mit seiner Heimatstadt hält – die grün-weißen Vereinsfarben von Hibernian Edinburgh halfen Farrell auch bei der Wahl seines deutschen Lieblingsvereins: Borussia Mönchengladbach. „Mir hat damals der offensive Stil von Netzer, Heynckes und Wimmer gefallen“, erinnert er sich. „Bei Gladbach galt, dass die beste Abwehr der Angriff ist.“ Seine Begeisterung für die „Fohlen“ teilt übrigens die ganze Familie, seine Tochter ist sogar Mitglied bei den Borussen.
Selbst dem runden Leder nachgejagt hat Alec Farrell in der Schule und während seiner Zeit bei der britischen Armee, für die er auf Zypern stationiert war. „Da hab ich mal mit einer schottischen Auswahl 4:2 gegen eine englische gewonnen“, sagt er mit einem schelmischen Grinsen, das die historisch begründete Rivalität mit dem Nachbarn aus dem Süden der Insel in jeder Sportart begleitet. „Ich unterstütze immer jede Mannschaft, die gegen England spielt“, sagt Farrell, ehe er lachend nachschiebt: „Blöd sind nur die Politiker, die Menschen in England sind in Ordnung.“ Dafür spielt die Hauptstadt des Vereinigten Königreichs auch eine zu große Rolle in Alec Farrells Leben: Schließlich lernte er in London seine Frau Leni kennen.
Gemeinsam mit ihr und der Familie wird er, der seit 1974 die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, nicht nur am Freitag vor dem Fernseher sitzen. „Ich schaue mir alle Spiele an“, freut sich Alec Farrell auf die EM, an deren Ende er seiner zweiten Heimat den Titel wünscht. „Deutschland als Europameister? Das wäre mir recht“, sagt er, der sich nach 60 Jahren fern von Schottland zwar als Deutscher fühlt, aber lieber seine eigene Wortschöpfung verwendet: „Ich bin ein waschechter Schwotte“, lacht er, „halb Schwabe, halb Schotte.“
Und wer gewinnt das Eröffnungsspiel? „Deutschland mit 2:1 oder 3:1“, sagt er. „Ich wünsche meinen Schotten aber wenigstens ein Tor.“