Lokalsport
Birgit Zimmermann: Die rasende Postbotin rockt die Staaten

Ausdauersport Birgit Zimmermann aus Lindorf hat als älteste Teilnehmerin das „Trans Am Bike Race“ gefinisht. Nach 43 Tagen waren die 6800 Kilometer quer durch die USA bezwungen. Von Sandra Langguth

Wer irgendwo eine schnelle Radfahrerin mit wehenden Locken an sich vorbeirasen sieht, der ist wahrscheinlich Birgit Zimmermann begegnet. Die rasende Postbotin aus Lindorf sammelt täglich neue Kilometer für ihre Statistik, und alles, was fit macht, nimmt die 62-Jährige sowieso gerne mit. Schließlich hat die passionierte Radlerin nicht einfach nur irgendwelche Ausfahrten auf ihrer Bucketlist, sondern gleich die ganz krassen Kaliber. Jüngstes Mammut-Projekt war das „Trans Am Bike Race“, bei dem es 6800 Kilometer von Astoria in Oregon nach Yorktown in Virginia ging, mit schlappen 54 000 Höhenmetern. „Ich hatte mich schon vor Corona angemeldet, bereits bezahlt und auch schon das Visum in der Tasche“, erzählt Birgit Zimmermann. Dieses Jahr war es endlich so weit. Von den 100 Teilnehmern von 2020 waren zwar lediglich 46 übrig geblieben, aber da es sich ohnehin um ein „non-supported Race“ handelt, also ein Rennen, bei dem man keine Hilfe annehmen darf und ganz auf sich allein gestellt sein muss, war das ganz egal.

 

Stundenlang fährt man da geradeaus. Es ist total bezaubernd.
Birgit Zimmermann Die 62-Jährige über die kerzengeraden Strecken, die zu ihrer Route dazugehört haben

Mit ihrem Rennrad und den zwei gepackten Taschen ging sie als eine von nur drei Frauen an den Start. Für das Ultra-Distanz-Rennen an sich ist zwar kein Zeitlimit vorgegeben, doch die Lindorferin hatte „nur“ 47 Urlaubstage, und die mussten reichen. „Ich hatte nichts gebucht und immer erst nachmittags geschaut, wo ich in der Nacht bleibe.“ Dass sie acht Meilen von der offiziellen Strecke entfernt übernachtet hat, war eine einmalige Sache. „Da musste ich insgesamt 16 Meilen extra fahren. Das hab ich schnell optimiert“, erzählt sie lachend. Nächte in Vorräumen von Postämtern – bei den Bikern auch „EC-Hotel“ genannt – oder auch in Kirchen gehörten ebenso dazu wie im Zelt, das sie vorsorglich eingepackt hatte. Und wenn auf der Karte „No Services for 100 Miles“ stand, dann gab es da auch nichts. „Bei mir ist es immer gut ausgegangen“, berichtet die 62-Jährige. Auch wenn Genügsamkeit zum Distanz-Radeln dazugehört. Eine halbe Dose Erdnüsse und Wasser mussten schon mal zum Abendessen ausreichen.  

16 Kilometer lange Steigungen

100 Meilen pro Tag, also 160 Kilometer, ist sie täglich gefahren. „Man musste sich exakt an die Route halten“, erklärt die Lindorferin, die es selbst überraschend fand, dass ihr kilometerlange kerzengerade Straßen nichts ausmachten. „Stundenlang fährt man da geradeaus. Es war total bezaubernd.“ Allerdings ging es mitunter auch mächtig hoch. „Gerade am Anfang gab es bis zu 16 Kilometer lange Pässe mit neun Prozent Steigung. Das ist wie die Neidlinger Steige.“ Angesichts des riesigen Pensums, das noch kommen sollte, war sich Birgit Zimmermann nicht zu schade, ihr Rad auch mal zu schieben. „Nach sechs Stunden war ich den Berg auch oben“, erinnert sie sich lachend. Die Entschädigung für die Plackerei folgte auf dem Fuß, oder besser gesagt für die Füße, denn dann konnte sie das Rad auch mal ’ne Dreiviertelstunde einfach den Berg runterrollen lassen und die Landschaft genießen. Begeistert hat sie auch die Hilfsbereitschaft der Amerikaner. „Als ich mal irgendwo stand, hat gleich einer angehalten und gefragt, ob er mir helfen kann. Und in einer Kneipe hat ein anderer Gast einfach mein Getränk bezahlt und ist gegangen. Der fand wohl Radfahrer cool“, erinnert sie sich lachend. Genauso ging es ihr mit den sogenannten „Dot-Watchern“, die übers Online-Tracking genau verfolgen können, wo sich die Teilnehmer des Rennens gerade befinden. „Da stieg einfach einer aus dem Auto aus und meinte: ,Hey Birgit, können wir ein Selfie machen?‘ “

Von den 46 Teilnehmenden sind am Ende 25 im Ziel angekommen. Von den drei Frauen haben es zwei geschafft. „Vor dem Rennen habe ich gesagt, wenn ich zu 80 Prozent zufrieden bin und zu 20 leiden muss, wäre es ok. Am Ende waren nicht mal zwei Prozent schlecht.“ Und weil’s so schön war, hat sich Birgit Zimmermann gleich das nächste Event ausgeguckt. Beim „Northcape-Tarifa“-Rennen geht es über 7400 Kilometer und 80 000 Höhenmeter vom nördlichsten zum südlichsten Punkt des Europäischen Festlands. Dabei müssen die Teilnehmenden 15 Länder durchqueren. „Ich rechne mit 47 Tagen“, hat sie sich bereits Gedanken über das neue Abenteuer gemacht. 

20 Stunden pro Tag auf den Beinen

Birgit Zimmermann hat zwei erwachsene Töchter und ist von Beruf Postbotin. Vor ihrem regulären Arbeitsbeginn steht die 62-Jährige in aller ­Herrgottsfrühe auf und trägt den Teck­boten aus. Dann geht es zur „normalen“ Arbeit. Das macht sie sechs Tage die Woche. Vier Stunden Schlaf pro Nacht müssen da reichen.
Zum Sport kam sie, nachdem die Kinder aus dem Haus waren. Erst fing Birgit Zimmermann mit Laufen an. Drei Mal die Woche schnürte sie die Schuhe, war ziemlich ambitioniert und schaffte es beim Tecklauf in unter einer Stunde hoch zur Burg. Irgendwann war ihr das Laufen aber zu langweilig geworden und sie stieg aufs Rad um.
An Rennen hat die 62-Jährige richtig Gefallen gefunden. Um herauszufinden, wie sehr sie sich belasten kann, „ohne bleibende Schäden zu bekommen“, fuhr sie in 13,5 Tagen eine 3000-Kilometer-Runde mit Start und Ziel in Dublin. Den German-Cycling-Cup hat sie als 21. Frau und Zweite ihrer Altersklasse abgeschlossen. sl