Kirchheims Turnerinnen kämpfen morgen um den Zweitliga-Klassenerhalt
Borken als Betriebsunfall

Wie es dazu kam, ist vielen bis heute ein Rätsel. Fest steht: Nach Platz sieben am letzten Wettkampftag in Borken vor sechs Wochen müssen Kirchheims Turnerinnen um den Klassenerhalt in der zweiten Liga bangen. Vor dem entscheidenden Relegationskampf am morgigen Samstag im hessischen Biedenkopf regiert bei Mannschaft und Trainerin ­verhaltener Optimismus.

Borken als Betriebsunfall
Borken als Betriebsunfall

Kirchheim. Hoch ging es her im Wohnzimmer der VfL-Turnabteilung, in der Kirchheimer Konrad-Widerholt-Halle. Wie immer bei der Vereinsweihnachtsfeier, wenn der Nachwuchs sein Temperament von der Leine lässt. Doch plötzlich war es mucksmäuschenstill im Saal. Als die frisch gekürte

Deutsche Mannschaftsmeisterin

Adina Hausch an den Schwebebalken trat, um Auszüge aus ihrem Wettkampfprogramm zu präsentieren, hätte man in der Halle die berühmte Stecknadel fallen gehört.

„Das sind Vorbilder, wie sie jeder Verein braucht“, sagt Michaela Pohl, die während ihrer aktiven Zeit selbst ein solches Vorbild

war und der auch heute in punkto Einsatzbereitschaft und Loyalität keiner im Verein etwas vormacht. Heute kümmert sie sich als Trainerin um den Nachwuchs und kämpft dafür, dass der Standort Kirchheim auch weiterhin die nötigen Voraussetzungen für hochklassiges Turnen bietet.

Diese Basis ist nun plötzlich in Gefahr. Nach acht Jahren in der ersten und zweiten Bundesliga droht den Turnerinnen des VfL der Abstieg in die neu geschaffene dritte Liga. Völlig überraschend, denn mit den Plätzen drei und fünf nach den ersten beiden Saisonwettkämpfen lag der VfL im Achterfeld in sicherer Distanz zur Gefahrenzone. Bis kam, was bis heute niemand so recht erklären kann: Platz sieben beim Abschlusswettkampf Ende Oktober in Borken. Damit rutschte der VfL als Drittletzter in der Tabelle noch auf einen Relegationsplatz. Dabei hatte sich die Mannschaft nicht einmal eklatante Schwächen geleistet. Die Konkurrenz war einfach zu stark an diesem Tag.

Im nordhessischen Biedenkopf geht es morgen ab 18.30 Uhr ums Ganze. Mit Zweitligakonkurrent Dresdner SC und den beiden Drittligisten TV Überlingen und Heidenheimer SB kämpfen drei weitere Teams um Aufstieg oder Verbleib in der zweiten Bundesliga. Die Chancen stehen gut, denn für die kommende Saison sind, anders als in der ersten Liga, gleich drei freie Plätze zu vergeben. Nur der Letzte dieser Vierergruppe muss im Frühjahr drittklassig starten.

Als bestplatzierter Zweitligist gehen die Kirchheimerinnen favorisiert ins Rennen. Trainerin Michaela Pohl wagt sich dennoch an keine Prognose. Sie weiß: Zwischen Erfolg und Niederlage passt im Turnen kein Blatt Papier. Ein einziger Fehltritt kann entscheidend sein. Vor allem der Balken gilt als Kirchheimer Risikogerät. Gerade dort, wo mögliche Patzer mit den größten Abzügen bestraft werden. Eine Herausforderung, der sich die 16-jährige Jessica Preuss morgen wird stellen müssen. Sie turnt als Einzige ausschließlich an diesem Gerät. Daniela Flaig, die Erfahrenste im Team mit 27 Jahren, wird in Biedenkopf nur einen Dreikampf bestreiten. Sie stößt erst in der Halle zur Mannschaft, weil sie zuvor in Stuttgart noch bis zum Mittag einen Kampfrichter-Lehrgang absolviert. „Ich konnte ihr das nicht ausreden“, sagt ihre Trainerin mit sorgenvollem Blick auf winterliche Straßenverhältnisse und Wochenendverkehr. Der Rest der Mannschaft mit Dorothee Henzler, Pia Pohl und Lisa Kiedaisch wird morgen an allen vier Geräten an den Start gehen.

Eines haben sie alle gemein: Sie sind motoviert bis in die Haarspitzen. Dafür hat die Trainerin gesorgt. In einem Sport, der Körper und Geist so viel abverlangt wie das Turnen, ist weniger oft mehr. „Wir haben die letzten zwei Wochen deutlich Intensität herausgenommen“, verrät Michaela Pohl. Das Wettkampfprogramm einfach beiseitegeschoben. Mit Erfolg: Nach einer harten und langen Saison ohne Unterbrechungen ist der Spaß zurückgekehrt, wie sie feststellt. „Alle freuen sich auf den morgigen Tag.“

Der Rahmenplan für den wichtigsten Wettkampf des Jahres steht: Boden und Sprung gelten als sichere Bank. „Dass wir am Barren nicht viel reißen, wissen wir“, sagt Michaela Pohl. Dort hat Adina Hausch, die seit dieser Saison für das Turnteam Stuttgart in der ersten Liga turnt, eine schwer zu schließende Lücke hinterlassen. Dennoch: Wird der „Zitterbalken“ nicht zum Schicksalsgerät, müsste es am Ende eigentlich locker reichen. Den schärfsten Konkurrenten Dresdner SC hielten die Kirchheimerinnen in zwei Wettkämpfen sicher auf Distanz. Lediglich beim Saisonfinale im Oktober hatte das Team aus Sachsen mit eineinhalb Punkten die Nase vorn. Den Betriebsunfall Borken gilt es morgen auszubügeln.