Am Samstag startet in Lille das bedeutendste Radrennen der Welt. Für eingefleischte Radsportfans aus der Region ist der Tour-Start in Frankreich Jahr für Jahr ein Ereignis, auf das man hinfiebert und auf das nicht wenige sogar ihre Urlaubsplanung ausrichten. Allerdings: Wer an diesem Samstag nicht bei der 4. Kirchheimer Radsportnacht an der Strecke steht, ist selbst schuld. Wenige Tage vor dem Rennspektakel in der Teckstadt, sorgt Mit-Organisator Jannik Steimle dafür, dass sich die Meldungen fast täglich überschlagen. Im Vorjahr noch als reines Amateurrennen ausgetragen, wird Kirchheim am Samstag für wenige Stunden zum Nabel der deutschen Rennsport-Szene – und darüber hinaus.
Mir fiele keine vergleichbare Veranstaltung in dieser Qualität ein.
Freddy Eberle, Streckensprecher und Kenner des Radsports, über das diesjährige Kirchheimer Rennen.
Fest steht: Ein hochkarätigeres Starterfeld wie diesmal gab es noch nie in der fast vierzigjährigen Geschichte des Kirchheimer Rennens unter wechselnden Veranstaltern. Was Steimle und das Organisatoren-Duo Jürgen und Verena Wastl dem Publikum in Kirchheim bieten, ist für ein Einladungsrennen in diesem Rahmen deutschlandweit einzigartig. Mit Jonas Koch (Bora-hansgrohe/Red Bull), Alexander Krieger (Tudor Pro Cycling) und möglicherweise Kim Heiduk (Ineos Grenadiers) stehen drei namhafte deutsche Profis am Start. Allein hinter Heiduk steht noch ein kleines Fragezeichen. Der Herrenberger könnte bei Ineos noch kurzfristig als Ersatz in die Aufstellung für die Österreich-Rundfahrt nachrücken. Giacomo Nizzolo, Steimles Teamkollege bei Q36.5, ehemaliger Etappensieger beim Giro und bei Paris-Nizza, steht dagegen fest und sorgt für internationale Klasse im Starterfeld. Damit nicht genug, denn seit gestern ist bekannt: Nizzolo bleibt nicht der einzige Italiener, der seine Visitenkarte auf dem Alleenring hinterlegt.
Der italienische Meister von 2020 mag mit 36 Jahren der Mann sein, der seine größten Erfolge hinter sich hat. Filippo Conca ist zehn Jahre jünger und seine Sternstunde liegt gerademal vier Tage zurück. Seit vergangenem Sonntag sind auf den Mann aus der Lombardei alle Augen gerichtet. Concas sensationeller Triumph bei den nationalen Meisterschaften im Friaul gilt als historisch. Als Teilnehmer mit Amateurstatus und ohne aktuelles Team ließ der 26-Jährige Weltstars wie Jonathan Milan nach einem brutal harten Rennen über knapp 230 Kilometer auf der Zielgeraden alt aussehen. Damit stellt er sich in eine Reihe mit Namen wie Fausto Coppi, Gino Bartali, Francesco Moser oder Mario Cipollini. Die Schlagzeilen der internationalen Fachpresse waren ihm damit sicher. Ob es der Sieg in Kirchheim auch sein wird, wird sich am Samstag gegen 21 Uhr auf Höhe des Marktbrunnens zeigen.
Natürlich ist Conca kein völlig unbeschriebenes Blatt. Bis voriges Jahr noch fuhr er an der Seite von Steimle und Nizzolo bei Q36.5. Allerdings wurde sein Vertrag am Saisonende nicht verlängert. Die Fachwelt mag sich verwundert die Augen reiben – einer nicht: „Filippo ist ein super Typ. Ich kenne seine Leistungswerte aus dem letzten Jahr“, sagt Jannik Steimle. „Mich hat dieser Sieg nicht überrascht“. Eingefädelt wurde der Kirchheimer Deal übrigens von Nizzolo persönlich. Er machte dem frisch gebackenen italienischen Champion ein Wiedersehen unter der Teck schmackhaft.
Tizza als dritter Italiener
Die immer länger werdende Reihe der Profis ist damit noch nicht am Ende. Im Gefolge von Nizzolo und Conca wird auch Marco Tizza (Wagner Bazin WB) am Samstag dabei sein. Alle drei sind befreundet und folgen Steimles Ruf aus dem Schwabenland. Tizza feierte seine größten Erfolge im vergangenen September als er binnen weniger Tage mit zwei fünften Plätzen bei der Trofeo Matteotti und beim Memorial Marco Pantani das Podium nur knapp verfehlte.
Auch für einen, der diesen Sport ein Leben lang begleitet hat und als wandelnde Enzylopädie des Radsports gilt, ist so ein Tag etwas Besonders: „Wer sich am Samstag Zeit nimmt für dieses Ereignis, den kann man nur beglückwünschen“, meint Kult-Streckensprecher Freddy Eberle, der seit Jahrzehnten aus der Rennszene nicht wegzudenken ist. „Mir fiele keine vergleichbare Veranstaltung in dieser Qualität ein“. Am Samstag wird er gemeinsam mit Deutschlands Top-Sprinter Max Walscheid das Rennen kommentieren. Der 32-Jährige verpasst wegen eines Ellbogenbruchs die Teilnahme bei der Tour de France, für die er bei Jayco AlUla fest eingeplant war und stellt sich nun in Kirchheim an die Strecke. Neben Walscheid als „sympathischen Gesprächspartner und klugen Kopf“ freut sich Eberle vor allem auf den taktischen Verlauf des Rennens. „Die Italiener werden sich nicht lumpen lassen“, rechnet Eberle mit einem offenen Schlagabtausch. Bei aller Vorfreude, mit einem Handicap hat er zu kämpfen: „Ich kann kein Italienisch“.

