Weilheim. Den 21. Oktober 2019 wird Nelson Abrantes nie vergessen. Für einen offiziellen Termin im Geschäft wollte er sein Festool-Hemd anziehen. Doch die Knöpfe gingen nicht mehr zu. Fast zwei Jahre kein Sport hatten ihre Spuren bei dem Fußballer hinterlassen. „Da war mir klar, dass ich was machen muss“, erzählt der 40-Jährige, der zuletzt in Zell in der Kreisliga A als Spielertrainer tätig war und die Kickstiefel wegen diverser Verletzungen an den Nagel gehängt hatte. „103 Kilo bei 1,81 Meter waren einfach zu viel.“
Deshalb begann der gebürtige Portugiese mit dem Laufen. Fünf Kilometer. Jeden Tag. „Das hat sich angefühlt wie ein Marathon. Ich war völlig am Ende“, berichtet Nelson Abrantes. Doch so schnell wie die Pfunde dahinschmolzen, wurden auch die Kilometer mehr. Von fünf ging es auf sechs, dann auf acht. Nach zwei Monaten waren zwölf Kilogramm weg. Die ungewohnte Belastung machte sich allerdings auch noch anders bemerkbar. „Ich habe mir eine echt schmerzhafte Kniekehlenentzündung geholt“, erinnert sich der Weilheimer. Also war erstmal Pause angesagt. Und die tat ihm gut. Nach einer Weile konnte er wieder loslegen, machte etwas weniger, dafür aber längere Läufe. Nach neun Monaten nahm er 100 Kilometer in Angriff, die er in unter zwölf Stunden schaffte. „Das war damals während der Corona-Zeit. Da habe ich auch bei vielen virtuellen Läufen mitgemacht.“ Über zehn Kilometer und die Halbmarathon-Distanz stellte der 40-Jährige schnell beachtliche Bestzeiten auf.
Während ihm dies von vielen Respekt einbrachte, gab es auf der anderen Seite auch ein paar Neider. Auf Strava, einer App, mit der man seine Ausdauer-Aktivitäten aufzeichnen und in seinem Profil für andere sichtbar machen kann, kamen immer wieder Kommentare von Followern, die offenbar mit der Leistung nicht einverstanden waren. „Da wurde mir dann unterstellt dass meine Uhr nicht stimme und die Zeiten nicht sein könnten, weil andere viel länger für solche Resultate trainiert hätten“, berichtet der Weilheimer. Sein bester Halbmarathon im Stadion mit 1:18 Stunde wurde dann schließlich vom Betreiber der App gelöscht, weil drei Leute den Lauf als verdächtig markiert hatten. „Das Ganze ging dann so weit, dass ich überhaupt keinen Spaß mehr am Laufen hatte“, gesteht der 40-Jährige, der aber auch betont, wirklich tolle Menschen wie beispielsweise Chris Rommel aus Lenningen oder Hendrik Brandes aus Bissingen kennengelernt zu haben. Seinen Strava-Account hat er auf privat gestellt und bis auf drei alle Follower gelöscht. Nur auf Instagram, wo er als „neloabra“ zu finden ist, postet er regelmäßig was. „Eigentlich war mein Ziel, auch andere zum Laufen zu bewegen und zu zeigen, dass jeder was für sich tun kann. Ne halbe Stunde am Tag kann man immer investieren.“
Den Spaß am Laufen hat der Vater eines 15-jährigen Sohnes längst wieder entdeckt, auch wenn es auf Strava keiner mehr sehen kann. Mit Unterstützung einiger Sponsoren wie beispielsweise der Weilheimer Daniel Singh trainiert er nun fleißig auf den nächsten Marathon, denn da hat er noch eine Rechnung offen. „Bei meinem ersten Start in Berlin war ich mit der Zielzeit von 2:50 Stunden unterwegs, als es mir plötzlich hinten in den Oberschenkel reingefahren ist. Seither hab ich das so im Kopf, dass es mich total ausbremst bei den langen Läufen.“ Schneller als 3:30 Stunden ist er in Berlin seither nicht geworden. Nächstes Jahr sollte sich das ändern, doch der Weilheimer hat für die Hauptstadt keinen Startplatz zugelost bekommen. Deshalb läuft er am 6. Oktober in Lissabon. „Erst war ich mega enttäuscht, aber mein Trainer Oliver Westphal, nach dessen Plan ich mich jetzt vorbereite, meinte das sei sogar besser.“
Damit alles passt bis dahin, will der 40-Jährige nichts dem Zufall überlassen. Die Kickstiefel, die er bei der SG Ohmden/Holzmaden erfolgreich wieder schnürt, wird er erstmal nicht mehr ganz so oft tragen, und wegen seiner Coronainfektion neulich wird er morgen auch nicht beim Tecklauf dabei sein. „Das ist mir zu heikel, auch wenn ich die Veranstaltung total super finde und immer gerne dabei war.“ Genauso wie auf Mallorca, wo er mit seinem besten Kumpel Markus Strohmaier jedes Jahr den Halbmarathon in Angriff nimmt. Die Zielzeit steht da aber nicht im Vordergrund, sondern der Spaß. Denn der sollte beim Laufen immer dabei sein. Sandra Langguth