Bevor vor 20 Jahren die SG Lenningen gegründet wurde, entbrannte beim TV Unterlenningen ein Glaubenskrieg
Der heiße Herbst im Lenninger Tal

20 Jahre ist es her, als in einem Pilotprojekt die Handball-Spielgemeinschaft SG Lenningen ins Leben gerufen wurde. Doch bevor mit einem Kooperationsvertrag alles begann, entbrannte beim TV Unterlenningen ein heftiger Glaubenskrieg.

Lenningen. Noch heute erinnern sich Zeitzeugen aus den einst rivalisierenden Nachbarvereinen TV Unterlenningen und TSV Oberlenningen ganz genau, wie heftig die Emotionen vor 21 Jahren hochkochten, als die ersten Fusions-Pläne der Handball-Funktionäre Rudi Dölfel (TVU), Georg Vollmer und Otto Leitner (TSVO) in die Öffentlichkeit gedrungen waren. Nicht alle Kritiker von damals sind verstummt.

Es war die Zeit, als die Berliner Mauern abgerissen und Deutschland vertraglich gerade einig Vaterland geworden war. Kurz danach wollte ein Häuflein ambitionierter Funktionäre auch im Lenninger Tal einen formalen Zusammenschluss – jenen der beiden Handball-Abteilungen von TVU und TSVO. Als die damaligen Vorsitzenden Gerhard Schleicher und Werner Schulmeyer am 23. Juni 1991 unter ein sechsseitiges Kooperationspapier ihre Autogramme gesetzt und die Spielgemeinschaft damit formell ins Leben gerufen hatten – Ersterer eher Zähne knirschend, Zweiterer erfreut – beendeten sie damit eine erbitterte Lokaldebatte, an deren Ende so mancher die Grundfesten zweier Vereine einstürzen sah. Es war eine Gruppe alteingesessener, langjähriger Mitglieder des Turnvereins, die sich vehement gegen die Kooperationspläne stemmte. TVU-Chef Schleicher, ihr Wortführer, leitete die Vereinsgeschicke damals vom Wohnort Backnang aus und galt als schärfster Widerstandskämpfer gegen die SG. Durch die Konkurrenz einer dritten Kraft im Lenninger Tal befürchtete er nicht nur eine verwaisende Bühlberg-Sportanlage, sondern auch TVU-Mitgliederschwund.

Und so formierte sich im „heißen Herbst“ 1990 eine einflussreiche ­Anti-SG-Front, die den Schmusekurs der früheren Rivalen ganz und gar nicht gut fand. Hardliner unter den SG-Kritikern witterten damals sogar Verrat an der Vereinsidee – das Aufgeben eigener Ideale. Auch Ingeborg Hammel, TVU-Mitglied schon seit 1948, hielt die eigenen Vereinsbelange damals für wichtiger als alles andere. Gut zwei Drittel aller jemals ausgetragenen Bühlberg-Sportfeste hat sie bis heute mitorganisiert, war zudem Übungsleiterin, Kinderturnwartin, Sportabzeichenprüferin, Pressewartin und Vorsitzende des TVU-Ältestenrats gewesen. Heute ist sie 77, und das Ehrenamt war und ist ihr Leben – das TVU-Ehrenamt wohlgemerkt.

Damals, gibt sie heute offen zu, widersetzte sie sich allen neuartigen Kooperationsplänen, weil sie Schaden auf ihren Verein zurollen sah. „Die Befürchtungen waren, dass sich die Vereinsaktivitäten der Mitglieder mit der neuen Spielgemeinschaft drastisch verlagern könnten, und zwar weg vom Unterlenninger Bühlberggelände hin zur Lenninger Sporthalle“, blickt sie zurück. Das Sterben liebgewonnener Bühlberg-Veranstaltungen befürchtete sie auch – und sah sich fünf Jahre nach der SG-Gründung in ihrem Vorurteil bestätigt: 1996 kam für das Sie&Er-JedermannTurnier tatsächlich das Aus. Warum daran die SG schuld sei, sagt sie nicht, lässt an ihrer Meinung aber keinen Zweifel: „Nach Bildung der Spielgemeinschaft ging bei den Mitgliedern ein Stück Identifikation zum Heimatverein verloren.“ Und die bis 1991 noch zahlreiche(re)n Vereinsfeste im Jahnhaus vermisst sie heute auch.

Was Rudi Dölfel gut verstehen kann – auch der 64-Jährige gehört gewissermaßen zum lebenden TVU-Inventar. Anders als sein Vis-a-vis hält der langjährige Abteilungsleiter und Berichterstatter die SG-Fahnen beim Presseplausch im Jahnhaus jetzt aber hoch, turmhoch sozusagen. „Diese Spielgemeinschaft“, rekapituliert der 64-Jährige die 20-jährige Bestandszeit voller Stolz, „hat das Lenninger Tal inzwischen zu einer Handball-Hochburg gemacht, die überregional bekannt ist.“ Dölfel, dem Leistungssport näher als dem Breitensport, verweist auf Jugendländerspiele, Bundesligamannschaften und Champions League-Teilnehmer, die im Täle in zwei Jahrzehnten schon live zu sehen waren – seiner Meinung nach Highlights der Extraklasse. „Ohne die Kooperation von TVU und TSVO hätte es solche Veranstaltungen nie gegeben“, sagt er.

Damals, erzählt er, hätten sie in Handballkreisen über eine „Bündelung der Kräfte“ im Lenninger Tal nachgedacht, um ihren Sport regional noch konkurrenzfähiger zu gestalten. Wer als Erster auf die Idee einer Zusammenarbeit gekommen sei, weiß Dölfel bis heute nicht, doch wahrscheinlich ist, dass Funktionäre des TSVO den Stein ins Rollen brachten. Schließlich waren die goldenen Oberlenninger Handballzeiten mit dem Oberligaaufstieg inzwischen wieder vorbei – die Sehnsucht nach einer Handball-Renaissance im Täle war groß.

Je mehr sie in den beiden Handball-Abteilungen über gemeinsame Teambildungen diskutierten, desto stärker wuchs im TVU-Hauptverein der Widerstand, auch wenn sich der damalige Zweite Vorsitzende Manfred Eichhorn von Anfang an auf die Seite der SG-Befürworter schlug. Doch der Machtkampf im Täle tobte – und Rudi Dölfel wurde vom TVU-Chef sogar der Vereinsausschluss angedroht. Monatelang stand die Installierung der ersten Spielgemeinschaft im Handballkreis Esslingen-Teck ernsthaft auf der Kippe.

Zum entscheidenden Schlagabtausch von Gegnern und Befürwortern kam es am 17. Mai 1991 bei einer eigens einberufenen TVU-Hauptversammlung. Während beim TSVO ein „einmütiger Vorstandsbeschluss“ (Werner Schulmeyer) klare Weichen stellte, brauchte der Nachbarverein nochmals viele Diskussionen und eine Kampfabstimmung zur Lösung des Problems. Im brechend vollen Jahnhaus setzten sich schließlich die SG-Bejaher mit 41:27 Stimmen nur deshalb durch, weil das Gros der anwesenden Mitglieder aus der Handballabteilung stammte. Und die votierten so, wie man es erwarten konnte.

Das Abstimmungsergebnis war ein Sieg des lokalen Handballsports – und eine Niederlage für eingefleischte Vereins-Traditionalisten. Ingeborg Hammel, die ihren TVU lebte und lebt, ist darüber zwar immer noch ein wenig traurig, sagt aber auch, dass man nicht ewig gegen den Strom schwimmen könne.