Der Parkplatz ist leer, kein Auto weit und breit. Nur ein Fahrrad neben dem Gebäude verrät, dass an diesem nasskalten Dezembermorgen überhaupt jemand im Sportvereinszentrum des VfL an der Jesinger Straße ist. Moritz Hönig sitzt an seinem Schreibtisch und checkt Mails - Mitgliederanfragen beantworten, Kontakt zu Mitarbeitern halten, Präsenz zeigen. „Ich versuche, immer ansprechbar zu sein“, sagt der Leiter des SVZ, bevor er einen Rundgang durch die Trainingsflächen startet, die seit Anfang November verwaist sind. Wo sonst Mitglieder zu fetziger Musik fleißig Frühschweiß vergießen, ist es kalt, dunkel und still. „Ein trauriger Anblick“, seufzt Hönig.
Den Start in seinen neuen Job hatte sich der 34-Jährige anders vorgestellt. Seit er am 1. Oktober das Ruder im SVZ übernommen hat, muss der studierte Sport- und Medienwissenschaftler das Flaggschiff des Vereins durch unruhige Gewässer steuern - Corona gibt den Kurs vor, dem der Kapitän und seine Mannschaft auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind. Drei weitere festangestellte Mitarbeiter, zwei Auszubildende, acht Trainer und Übungsleiter und noch mal soviele Minijobber betreuen mit Hönig normalerweise knapp 680 Mitglieder. Pandemiebedingt sind Trainer, Übungsleiter und Mini-Jobber momentan quasi arbeitslos, Hönig und die drei Festangestellten in Kurzarbeit. „Wie lange das noch so geht, weiß niemand“, sagt Doris Imrich, Gesamtvereinsvorsitzende und SVZ-Geschäftsführerin in Personalunion.
Immerhin: Finanziell kommt das Sportvereinszentrum bislang offenbar ganz gut durch die Krise, obwohl der Verein für Mai, November und Dezember keine Mitgliedsbeiträge erhoben hat. „Viele haben ihren Beitrag in dieser Zeit kurzerhand gespendet“, freut sich Doris Imrich über die Verbundenheit der Mitglieder, von denen aber längst nicht alle dem VfL in der Krise die Treue halten. „Bis Mitte nächsten Jahres rechnen wir damit, dass wegen Corona rund 80 Mitglieder gekündigt haben werden“, sagt Moritz Hönig. Der Hauptgrund ist dabei weniger finanzieller als gesundheitlicher Natur. „Viele sind vorsichtig und riskieren lieber nichts“, weiß der Studioleiter gerade um die Sorgen jener Mitglieder, die Angebote im Rehasportbereich wahrnehmen - und das sind bei einem Gesamtdurchschnittsalter von 49 Jahren nicht wenige.
Um die Austritte mit werbewirksamen Aktionen auffangen zu können, sind Hönig und seinem Team momentan die Hände gebunden. „Alle diese Pläne müssen wir wegen des Lockdowns erst mal auf die lange Bank schieben“, scharrt der ehemalige Leichtathlet, der nebenbei auch Leiter der VfL-Abteilung ist, mit den Hufen. Mut macht ihm die Tatsache, dass trotz Corona aktuell rund zehn Mitgliedsanträge auf seinem Schreibtisch liegen. „Anders als bei kommerziellen Anbietern läuft bei uns viel über Mund-zu-Mund-Propaganda“, so Hönig.
Bevor weitere potenzielle neue Mitglieder angeworben werden können, pflegen sie beim VfL die bestehenden, die nicht nur das Training vermissen. „Neben dem Sportlichen fehlen den Mitgliedern vor allem die Gemeinschaft und das Miteinander“, weiß Doris Imrich um die Bedeutung des SVZ als Anlaufpunkt. Den kann es vorerst nur virtuell geben: Auf Youtube haben die Trainer verschiedene Videos hochgeladen, die für die Mitglieder jederzeit abrufbar sind.
Weitere Anregungen und Tipps, wie man durch die Krise kommen kann, holen sich die Kirchheimer regelmäßig beim Württembergischen Landessportbund. Der WLSB bietet den Betreibern von Sportvereinszentren im Land alle 14 Tage eine Videokonferenz, in deren Rahmen die Vereine sich austauschen können. Bis zu 60 Teilnehmer nehmen die Möglichkeit dieser Ideenbörse wahr, bei der auch Sorgen und Nöte kommuniziert werden. „In diesen Zeiten ist es auch mal ganz tröstlich, wenn man sieht, dass es anderen genauso geht“, sagt Doris Imrich.
Den meisten der knapp 50 Sportvereinszentren, die unter der Mithilfe des WLSB entstanden sind, geht es in der Tat wie dem in Kirchheim. „Die Vereine haben sich mittlerweile mit der misslichen Lage arrangiert und machen das Beste draus“, weiß WLSB-Sprecher Thomas Müller, „zumal der finanzielle Druck durch das Soforthilfeprogramm des Landes erstmal genommen wurde.“ Bis Ende November hatten notleidende Vereine in Baden-Württemberg, darunter auch der VfL, knapp 11,3 Millionen Euro an Hilfsgeldern ausgeschöpft, ehe die Landesregierung am Dienstag weitere 7,5 Millionen Euro bis Ende Juni 2021 zugesagt hat.
Ob und wie sich der VfL als Gesamtverein erneut um Mittel bewirbt, ist unklar. Den Ehrgeiz, es ohne Finanzspritze schaffen zu wollen, haben sie an der Jesinger Allee allemal. „Wir hatten vor Corona ein gesundes Wachstum von innen und werden das auch nach Corona haben“, sagt Moritz Hönig, „ich bin davon überzeugt, dass wir erfolgreich sein werden, wenn wir wieder starten dürfen.“