Die Kurznachricht erscheint mit dem ersten Glockenschlag der Turmuhr auf dem Handy. „Brauche noch drei Minuten, sorry“. Drei Zeigerumdrehungen später biegt er zu Fuß um die Ecke. Kein Bike weit und breit. An der Hand ein Korb mit leeren Pfandflaschen – auch wer das halbe Jahr aus dem Koffer lebt, muss irgendwann mal einkaufen. Der Interviewtermin im Cafe´ ist nur Zwischenstation. Am Nachmittag steht eine lange, harte Trainingseinheit auf dem Programm. Disziplin und Pünktlichkeit sind nun mal Tugenden, ohne die im Leistungssport wenig bis gar nichts geht.
Nur die muskelbepackten, glattrasierten Beine und das T-Shirt mit dem Namen seines Arbeitgebers verraten, dass hier Deutschlands zurzeit bester Mountainbiker Einblick in sein Inneres gewährt. Luca Schwarzbauer wirkt entspannt und aufgeräumt an diesem herrlichen Frühsommertag in Kirchheims Gassen. Der 26-Jährige aus Reudern erlebt im Moment das, was Mountainbiker als Flow bezeichnen: Es läuft geschmeidig. Nach seiner bisher stärksten Saison hat er im Frühjahr einfach dort weitergemacht, wo das Jahr für ihn endete und gleichzeitig unterstrichen, was dauerhaft sein
Geradlinig war dieser Weg nicht. Er habe „massive Fehler“ gemacht, räumt er rückblickend ein. Bei seinem Wechsel von der U23-Klasse zur Elite wäre ihm die Karriere vor drei Jahren um ein Haar entglitten. Übertraining, Ess-Störungen, Gewichtsextreme, Leistungseinbrüche – es waren vor allem psychisch instabile Zeiten, die geprägt waren von Selbstzweifeln. Viel hätte nicht gefehlt und er hätte einen Schlussstrich unter den Sport gezogen. Dabei war immer klar: „Die physischen Voraussetzungen und das Talent waren da“, sagt er. „Nur das Drumherum hat irgendwann nicht mehr gepasst.“
Inzwischen passt es. Der Wechsel von Lexware zu Canyon hat vor Beginn der vergangenen Saison wie ein Katalysator gewirkt. Eine neue Welt, ein deutlich professionelleres Umfeld mit einem Dutzend Spezialisten, die sich in puncto Training, Gesundheit, Ernährung und Technik um vier Athleten kümmern. Seine jüngere Teamkollegin, die Französin Loana Lecomte, ist im Moment der Shootingstar im Weltcup. Man pusht sich gegenseitig, man versteht sich, man feiert gemeinsam Erfolge.
Schwarzbauer hat seine innere Mitte gefunden. „Im Sport“, sagt er, „geht es immer darum, die Balance zu suchen“. Dass er auf dem Rad nie zu den Kletterkünstlern zählen wird, denen keine Rampe zu steil ist, hat er längst akzeptiert. Mit seinem derzeitigen Wettkampfgewicht von 77 Kilo zählt er zu den Schwergewichten im internationalen Fahrerfeld. Das wiederum verschafft Kraftvorteile auf schnellen, eher flacheren Kursen und im Shortrace, wo er im vergangenen Jahr zeitweilig die Gesamtwertung im Weltcup anführte.
Er ist kein Schnellzünder, eher einer, der Zeit braucht, sich zu entwickeln. Dass er als einziger im Profizirkus mitten im Studium steckt, macht die Sache nicht einfacher. Als angehender Wirtschaftsingenieur an der Hochschule in Esslingen muss sein Zeitplan noch besser getaktet sein als er das ohnehin wäre. Der Umgang mit Erwartungsdruck, zu akzeptieren, dass man nicht in jedem Rennen Topleistungen abliefern kann – „das ist mir lange schwergefallen“, sagt Schwarzbauer. Er hat gelernt, mit Tiefschlägen umzugehen – auf seine Art. Wo andere aufkommende Selbstzweifel nicht selten mit forschen Tönen überdecken, bleibt er defensiv. Seine auffallende Zurückhaltung haben ihm früher durchaus auch Kritik am eigenen Image eingebracht: zu leise, zu selbstkritisch, zu wenig selbstbewusst. Er dagegen ist sich einfach treu geblieben. „Ich bin keiner, der vor dem Rennen lautstark Ansagen macht“, sagt der ehemalige Waldorfschüler und ergänzt: „Ich habe in meinem Leben durchaus Grundüberzeugungen und ein Urvertrauen in die eigenen Fähigkeiten mit auf den Weg bekommen“.
Dieses Urvertrauen gilt es nun in Erfolge und letztlich auch in klingende Münze umzuwandeln. Schwarzbauer steckt im Vertragsjahr, und da ist auch für ihn schon mal Schluss mit Understatement. Er könnte sich vorstellen, bei Canyon zu bleiben. „Solange die Konditionen passen und nicht das ganz große Paket um die Ecke kommt,“ schränkt er ein. Spätestens nach dem Weltcup in Andorra Ende August soll Klarheit herrschen. Bis dahin bleibt Zeit, „den eigenen Marktwert zu checken,“ wie er es nennt.
Dreimal fuhr er im Crosscountry-Weltcup vergangenes Jahr in die Top-Ten. Beim Saisonauftakt vor drei Wochen im tschechischen Nove Mesto, wo er im Jahr zuvor Schnellster im Short Track war, räumte er beim Sieg des Briten Tom Pidcock auf Anhieb Platz sechs ab. Es wächst das Gefühl: Da geht noch mehr. In Lenzerheide wartet am 11. Juni beim zweiten Weltcuprennen in der Schweiz ein schneller Kurs, der ihm liegt. „Irgendwann,“ sagt er, „wird der Tag kommen, an dem alles passt.“