Kirchheim. Prof. Dr. Hermann (54) ist Professor der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement und Psychologe der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Sein Vortrag auf Einladung der Volksbank Kirchheim-Nürtingen war restlos ausverkauft. Erstaunlich, wurde doch am selben Abend das Champions-League-Spiel der Bayern gegen Manchester City live im Fernsehen übertragen. „Es wären sogar doppelt so viele Leute gekommen, aber leider gibt es in Kirchheim keine größere Halle“, bedauerte VB-Vorstandsvorsitzender Wolfgang Mauch.
Hermann wurde 2004 vom DFB auf Initiative des damaligen Bundestrainers Jürgen Klinsmann per Handschlagvertrag als „Seelenklempner“ verpflichtet. Er hatte seinen Anteil am Sommermärchen 2006, vermittelte den Spielern seine Trainingsmethoden bei der WM 2010 und kehrte im Sommer als „Weltmeister“ aus Brasilien zurück. An der dicken WM-Prämie für den Gewinn sei er allerdings nicht beteiligt gewesen, versichert er mit einem Lächeln.
Redegewandt und amüsant, gewürzt mit Anekdoten, gab Hermann in der Stadthalle interessante Einblicke in seine Arbeit. Seinen Tagesablauf bei der Mannschaft könne man sich wie den eines Physiotherapeuten oder Mediziners vorstellen. An normalen Tagen bewege er sich zwischen Einzelbesprechungen, Meetings und Training. „Der Kopf der Spieler muss die Spielleistung unterstützen und nicht behindern“, sagt er. Dazu wendet er individuell psychologische Trainingstechniken an. Die bekannteste Technik ist das mentale Training. Für jeden Sportler, der vor einer großen Entscheidung steht, sei es wichtig, sie als Herausforderung und nicht als Bedrohung zu interpretieren. Hermann: „Wer von vornherein sagt, gegen den habe ich keine Chance, gegen den habe ich schon immer verloren, braucht gar nicht erst anzutreten.“ Auch müsse er davon überzeugt sein, dass das, was er tue, sein Ding sei. Und nicht so zweifeln wie jener bekannte 400-Meter-Läufer, der sich immer am Start die Frage stellte, warum soll ich dorthin, wo ich jetzt schon stehe? Er hat als 27-Jähriger die Spikes an den Nagel gehängt. Das Laufen war nicht mehr sein Ding.
Motivation sei letztlich immer eine persönliche Entscheidung. Hermann nannte dafür diverse Optimierungsstrategien. Zum Beispiel unterstützende Selbstgespräche. Dazu zeigte er eine Filmsequenz von Skirennläufer Manfred Pranger. Der Österreicher steht im Starthäuschen und quasselt unaufhörlich Undefinierbares lautstark vor sich hin. Die Umstehenden amüsieren sich, aber Pranger sagt: „I brauch dös.“
Ganz wichtig sei persönliche Unterstützung durch Familie, Freunde oder Mannschaftskollegen, praktisch und emotional. „Der Schlüssel schlechthin“, meint der Rhetoriker. In der Nationalmannschaft würde sich auf diesem Gebiet Roman Weidenfeller besonders hervortun.
Nicht zu vergessen, weil ebenfalls unerlässlich: zwischendurch den Akku aufladen. Und zwar am besten in einer sogenannten Gegenwelt. Etwas tun, das Spaß macht. Ohne Druck, ganz locker. Etwa Wandern, Radfahren, Musizieren oder Lesen.
Für eine Mannschaft sei Teamgeist das Zauberwort. Hermann zeigte einen Vier-Minuten-Trailer des WM-Films, der im Winter in die Kinos kommen soll. In ihm nennt Jogi Löw die Gründe für den Erfolg, die in der Aussage gipfeln: „In den Trainingslagern vor der WM ist ein echtes Wir-Gefühl entstanden.“ Für den Zusammenhalt und die Integration junger Spieler hätten sich Miroslav Klose und Per Mertesacker besonders verdient gemacht. „Ihre Rücktritte tun der Nationalmannschaft weh“, meint Hermann. Am ehesten könnten Manuel Neuer und Thomas Müller in ihre Rolle hineinwachsen.
„Erfolg beginnt im Kopf“, so Hermanns Fazit. Das 7:1 gegen Brasilien sei vor allem deshalb möglich gewesen, weil es vorher dieses peinlich 4:4 gegen Schweden gab. Nach der 4:0-Führung hätten einige abgeschaltet und sich schon über den nächsten Samstag unterhalten. Das war nach der klaren Führung gegen Brasilien noch in den Köpfen. Jeder hätte sich gesagt, wir müssen konzentriert bleiben bis zum Schluss, damit uns so etwas nicht noch einmal passiert.
Hermanns lehrreicher Ausflug in die Psychologie wurde mit viel Beifall bedacht. Unter denen, die nachdenklich nach Hause gingen, war auch Fabian Preuß. Er wird wohl versuchen, die gewonnenen Erkenntnisse seinen Erfolglos-Kickern weiterzuvermitteln.