Lokalsport
Der Sportler, das soziale Wesen

Gemeinsam eine Seilbrücke bauen, um trockenen Fußes ans andere Ufer zu kommen, sich blindlings fallen lassen und darauf vertrauen, von anderen aufgefangen zu werden. Immer mehr Mannschaftssportler nutzen Erkenntnisse aus der Erlebnispädagogik, um gemeinsam mehr Erfolg zu haben. „Teambildung“ ist in.

Kirchheim. Hoffentlich schaut da jetzt keiner zu, ist der erste Gedanke, der den meisten ins Gesicht geschrieben steht. Zugegeben, es wirkt unfreiwillig komisch weil etwas unbeholfen, wie sieben erwachsene Männer versuchen, sechs Luftballons ohne die Hilfe ihrer Hände, nur durch Körperkontakt quer durch die Halle zu manövrieren. Am Ende haben sie es geschafft, weil keiner vorzeitig aufgegeben hat. Gelächter, Abklatschen - Ziel erreicht.

„Erfolg im Mannschaftssport ist nicht die Summe der Fähigkeiten jedes Einzelnen“, sagt Horst Kirra. Viele versierte Individualisten sind keine Garantie für eine funktionierende Einheit. Eine Binsenweisheit und doch ein Satz, der wirkt, wenn man ihn nur ausspricht. Es geht um Kommunikation, um gegenseitiges Verständnis und blindes Vertrauen. Seit er in der kirchlichen Jugendarbeit in Ötlingen erste Gehversuche in Sachen Teambildung unternommen hat, ist er fasziniert von diesem Thema. Früher waren es Konfirmanden, heute sind es Handballer oder Fußballer, mit denen er versucht, den Sinn fürs Gemeinsame zu schärfen. Kirra ist kein Profi, darauf legt er großen Wert. Schon allein, um sich vor Anfeindungen derer zu schützen, die längst eine Geschäftsidee daraus entwickelt haben. In der Wirtschaft ist Teambildung schon lange eine erfolgverheißende Strategie, und seit man „Klinsis“ Buben vor der Fußball-WM im eigenen Land an Gummibänder gekettet übern Rasen staksen sah, weiß ein jeder, dass auch im Sport nicht alles sinnfrei ist, was albern aussieht.

Während seines Lehramt-Studiums an der Uni in Stuttgart hat Horst Kirra Benjamin Brack kennengelernt. Beide sind seitdem gute Freunde und beide verbindet eine gemeinsame Leidenschaft: der Handballsport. Der Sohn von Rolf Brack, dem Trainer des Bundesligisten aus Balingen-Weilstetten, trainierte damals den VfL Pfullingen in der Württembergliga und verfolgte neugierig das Hobby seines Gegen­übers. Pfullingen wurde für Kirra zur Feuertaufe. Danach zeigten auch andere Vereine und Trainer Interesse, bis hin zu den Bundesliga-Handballern des HBW.

Ralf Wagner, Trainer des VfL Kirchheim in der Handball-Landesliga, nutzt die Dienste des Mathematiklehrers bereits zum zweiten Mal. Er ist überzeugt, dass seine Mannschaft dadurch mental stabiler geworden ist. Im bevorstehenden Abstiegskampf könnte das am Ende Gold wert sein. Wagner: „Wenn du hinten drin stehst, wird alles, was lange gut war, plötzlich hinterfragt.“ Da helfen neue Impulse weiter. Er biete kein Krisenmanagment und keine sportpsychologische Beratung an, betont Horst Kirra. Das überlässt er den Profis. Bei ihm geht es darum, Sportler aus ihrem immer gleichen Trainingsumfeld, aus eingefahrenen Denkmustern herauszulocken. Dafür nutzt er am liebsten die Natur als Abenteuerspielplatz mit fast unerschöpflichen Möglichkeiten. Erfahrungen sind gut, darüber zu reden ebenso. Deshalb schließt sich an jede praktische Einheit eine gemeinsame Gesprächsrunde an. Reflexion sei wichtig, sagt Kirra, auch wenn dieser Teil bei den meisten Sportlern weniger beliebt ist als die Praxis.

Erfolg und Vorgehensweise sind mitunter auch eine Frage des Geschlechts. „Frauen nehmen Kritik bewusster auf, haben demzufolge aber auch eine geringere Toleranz“, weiß Kirra, seit er mit den Zweitliga-Fußballerinnen des FV Löchgau zusammengearbeitet hat. Bei Männern hingegen hat er zweierlei festgestellt: „Die gehen die meisten Aufgaben sehr pragmatisch an“, sagt er. „Und ein Drittel davon hört grundsätzlich nicht zu.“