Neu-Coach Michael Mai will die Spielweise der Knights völlig umkrempeln
Der Tempo-Macher

Ein attraktiveres Spiel, höheres Tempo und mehr Punkte – Die Ziele von Kirchheims neuem Basketball-Coach Michael Mai klingen verlockend. Dem steht der dünnste Kader der Pro A und wenig Erfahrung auf dem Feld entgegen. Wenn sich der Vorhang am Samstag hebt und die Show beginnt, stellt sich die Frage: Lustspiel oder Drama?

Kirchheim. Wer gewinnt, ist ihm völlig egal, und sollten die Knights am Saisonende zu den Absteigern zählen, würde Billy auch davon keinerlei Notiz nehmen. Glücksmomente erlebt der Mischlings-Rüde bei ausgedehnten Spaziergängen an der Seite seines Herrchens. Auf den Hund gekommen ist Michael Mai schon vor längerer Zeit. Wer als Basketball-Nomade durch die Welt tingelt, der sucht Oasen, in denen er Ruhe findet. Eine neue Umgebung kennenlernen, die Gedanken schweifen lassen – mit Billy geht das.

Michael Mai ist ein religiöser Mensch. Einer, der viel nachdenkt über sich und seine Mitmenschen. Dass die Gedankenflüge dieser Tage kürzer werden, liegt am Fokus, der auf einem einzigen Moment ruht: Samstag, 19.30 Uhr, wenn mit dem Sprungball in der Sporthalle Stadtmitte die neue Saison beginnt. Der Gegner wird Nürnberg heißen, eine Mannschaft, die in diesem Jahr zum erweiterten Kreis der Aufstiegskandidaten zählt. In den 40 Minuten Spielzeit danach wird sich zeigen, wie nah Anspruch und Wirklichkeit bei den Rittern im siebten Jahr in der Pro A beisammenliegen.

Tiefe Einschnitte gab es in der jüngeren Vergangenheit häufig, doch diesmal blieb kein Stein auf dem anderen. Ein neuer Trainer, eine neue Mannschaft und ein neues Spielsystem. Selbst das Niveau in der Pro A hat sich verändert. Acht Teams, und damit der Hälfte der Liga, wird von Expertenseite Erstliga-Reife attestiert. Michael Mai weiß, dass er in Kirchheim ein schweres Erbe antritt. Zwar hat sein Vorgänger Frenkie Ignjatovic zuletzt einiges vom früheren Nimbus eingebüßt, doch der immer noch hohe sportliche Anspruch unter der Teck ist eine Spätfolge der glorreichen Anfangsjahre des früheren Trainers. Ein Anspruch, den viele nach heutigem Maßstab für vermessen halten. Mai macht folglich das einzig Richtige: Er versucht, vieles anders zu machen, eine erkennbare Handschrift sichtbar werden zu lassen. „Wir haben nicht das Geld, und wir haben nicht die tiefe Bank“, sagt er. „Aber wir werden die Leute überraschen.“ Selbstbewusste Töne, auf die ein altes Sprichwort passt, wonach Angst ein schlechter Ratgeber ist. Das gilt vor allem dann, wenn Risiko alternativlos ist.

Michael Mai hat seiner Mannschaft ein Tempo-Diktat auferlegt. Weg vom starren Setplay in der gegnerischen Hälfte, hin zum schnellen Umschaltspiel. Mehr Rasanz, mehr Punkte, mehr Show fürs Geld. Einer, der diese Spielweise wie kein anderer verkörpert, ist Neuzugang Keith Gab­riel. Der US-Combo-Guard hatte schon in der Vorbereitung mit krachenden Dunks und irrwitzigen Dribblings die Fans auf seiner Seite. Der chronisch gut gelaunte Spaßvogel ist der Topkandidat für den Titel Publikumsliebling des Jahres.

Mit einem solchen Spiel reißt man die Fans von den Sitzen – oder geht gnadenlos unter. Sicher ist: Man braucht dafür schnelle Beine, Ballsicherheit und eine starke Verteidigung. Problem Nummer eins: Die Defensive war zuletzt selbst gegen niederklassige Gegner eine augenfällige Schwachstelle. Das ist auch dem Coach nicht entgangen. „Daran werden wir hart arbeiten müssen“, sagt Michael Mai, für den das Problem weniger auf fehlende Defensiv-Qualität im Kader als auf mangelnde Abstimmung zurückzuführen ist.

Problem Nummer zwei: Die neue Mannschaft hat Moral, eine gute Athletik aber wenig Erfahrung. Die Frage wird demnach sein, was schwerer wiegt. Mit Jannik Lodders (22), den Mai noch aus Hannover kennt, dem Ludwigsburger Tobias Heintzen (19) und dem gebürtigen Berliner Jacob Mampuya (19), der aus dem Jugendprogramm der Bremerhavener Eisbären stammt, stehen drei U 23-Spieler im Kader. Der Unterschied zu den vergangenen Jahren: Mindestens zwei davon werden eine tragende Rolle auf dem Feld spielen müssen. Das gilt auch für den 23-jährigen Enosch Wolf, der mit seinen 2,14 Metern die einzige Besetzung für die klassische Center-Rolle ist und der im Jahr zuvor in Nürnberg auf knapp zehn Minuten Einsatzzeit kam.

Pro-A-Erfahrung wirft ein Trio in die Waagschale, das trotz vieler junger Kräfte den Altersschnitt auf 25,2 Jahre hebt. Damit schicken die Knights die drittälteste Mannschaft der Liga ins Rennen. Allein Kapitän Radi Tomasevic drückt mit seinen 36 Jahren den Schnitt gewaltig. Der Dauerbrenner im Knights-Trikot geht in seine siebte Saison für die Kirchheimer und war zuletzt als Joker und ausgebuffter Scharfschütze unersetzlich. Neben ihm sind Forward Ben Beran (30) und Spielmacher Bryan Smithson (29) die tragenden Stützen im Kader-Gerüst von Michael Mai. Beran als Vorbild an Einsatzwille und Kampfkraft, Smithson in Doppelfunktion als Vorlagengeber und Scorer. Vom nur 1,83 Meter großen Guard wird wie schon im Vorjahr erwartet, dass er die Schlüsselrolle ausfüllt. Hätte ihn eine Verletzung um den Jahreswechsel nicht aus der Bahn geworfen, Smithson wäre womöglich als bester Passgeber der Liga aus der Saison gegangen. So landete er mit 5,8 Assists pro Spiel am Ende immerhin noch auf Platz vier im Ranking. Dass der Amerikaner erst vor wenigen Wochen für den abtrünnigen Jamelle Barrett ins Team zurückkehrte, halten nicht wenige für den größten Glücksfall aus Kirchheimer Sicht. Bei den seltenen Auftritten seit seiner Rückkehr blieb Smithson unauffällig, hatte erkennbar mit Abstimmungsproblemen und Jetlag zu kämpfen, doch sein Trainer ist überzeugt: „Bryan wird eine stärkere Saison hinlegen als im Vorjahr.“

Vorausgesetzt er bleibt verletzungsfrei. Problem Nummer drei: Ausfälle sind im Saisonplan der Knights nicht vorgesehen. Der zehnköpfige Kader ist der dünnste in der Pro A. Dass die zehn Unverzichtbaren bei Kräften bleiben, ist unter anderem Aufgabe eines Mannes, der bis vor Kurzem noch der Schnellste der gesamten Republik war: Tobias Unger, deutscher Rekordhalter über 200 Meter und im Hauptberuf inzwischen Angestellter beim Fußball-Bundesligisten VfB Stuttgart, ist neuer Athletiktrainer der Knights. Ein Signal, dass es auch in Sachen Coaching vorwärtsgeht.

Das Bindeglied zwischen Alt und Jung ist Jordan Wild, den Knights-Sportchef Karl-Wilhelm Lenger scherzhaft als seinen „Guardforwardcenter“ betitelt. Ein Alleskönner, der wie Ben Beran im Vorjahr aus der australischen Liga nach Kirchheim wechselte und der einen Platz in der Startfünf behaupten soll. Lengers Vertrauen in die neue Garde ist groß. Das in die Zukunft offenbar ebenso: „Die schwierige Phase in den vergangenen beiden Jahren ist abgeschlossen“, glaubt er. „Wir sind strukturell auf einem guten Weg“, sagt Lenger, nachdem sich die Lage an der Sponsorenfront im Sommer entspannt hat. Die Zeiten, als man zu den Geheimfavoriten zählte, sind dennoch vorüber. „Wir sind dünn besetzt, das mag stimmen“, sagt der Sportliche Leiter. „Aber wir werden auch in dieser starken Liga überleben.“