Lokalsport
Der VfL wagt das Ungeheuerliche

Handball Kein „Weiter so“ in der Verbandsliga, keine erste Mannschaft mehr, stattdessen ein Wechsel ins Trikot des TSV Weilheim. Bei den Blauen des VfL Kirchheim beginnt eine neue Zeitrechnung. Von Bernd Köble

Dass dieses Saisonende zur Zäsur werden könnte, war schon vor vielen Wochen nicht mehr auszuschließen. Kirchheims Verbandsliga-Handballer stehen nach dem Klassenerhalt am Scheideweg. Was jetzt kommt, lässt sich getrost historisch nennen: Der VfL verzichtet auf sein Startrecht in Würt­tembergs zweithöchster Spielklasse und schließt sich mit der kompletten ersten Mannschaft – oder dem, was davon übrig ist – dem Bezirksligisten TSV Weilheim an. Eine Kooperation, die zunächst für ein Jahr gelten soll, aus der aber mehr werden könnte, wie beide Seiten betonen. Nach der ersten Saisonhälfte will man eine erste Bilanz ziehen. Passen die Voraussetzungen? Ist der Rückhalt in beiden Lagern stark genug, um den nächsten Schritt zu wagen, hin zu einer dauerhaften Spielgemeinschaft? Weilheims Trainer Matthias Briem gerät damit unverhofft in eine Lage, von der viele Kollegen träumen dürften: Er geht in der neuen Saison mit einem Kader an den Start, der in der Bezirksliga, zumindest in seiner Tiefe, einzigartig sein dürfte.

Rückblende: Vor knapp sechs Wochen klang alles noch anders. Der VfL hatte mit einem überzeugenden Endspurt den Klassenerhalt geschafft. Martin Rudolph, Abteilungschef und Teil der Mannschaft, ging fest davon aus, dass die Mission Verbandsliga, so schwer sie auch werden würde, bei den Blauen in dicken Lettern auf der Agenda steht. Allerdings machte Rudolph schon zu der Zeit klar: Die Entscheidung treffe nicht ich allein, sondern die Mannschaft.

Inzwischen steht fest: Es reicht nicht. „Was unterm Strich auf dem Papier stand, war zu wenig“, begründet Rudolph den Schritt. Die Mannschaft überaltert, die Lücke zur Jugend zu groß, wichtige Säulen im letztjährigen Kader längst weg, Ersatz nirgends zu finden. Die Aussichten auf eine Verbandsligasaison mit Anstand und Würde: eher schlecht. „Wenn sich nur einer der Leistungsträger verletzt hätte, hätten die Jungen alles ausbaden müssen“, sagt Rudolph und ergänzt: „Klar ist, keiner steigt freiwillig ab.“

Mit dem Abstieg allein ist es nun allerdings nicht getan. Mit dem Wechsel nach Weilheim geht das verbliebene Tafelsilber – wenn man so will – in der Konkursmasse auf. Leo Real, Julian Mikolaj, Sammy Gotthardy, Paul Rauner, Jan Tombrägel, Niko Heilemann, Steffen Kruschina, Vinzent Kornmann, dazu der eine oder andere Perspektivspieler aus der zweiten Mannschaft und natürlich
 

„Was bei uns unterm Strich auf dem Papier stand, war zu wenig.
Martin Rudolph
Der Abteilungsleiter des VfL zur Kaderplanung für die Verbandsliga.
 

Rudolph selbst – die Liste der Wechselwilligen ist durchaus beachtlich. Der Abteilungschef versucht den Ball dabei flach zu halten, dem Thema seine vermeintliche Tragweite zu nehmen. Es gehe letztlich darum, jungen Spielern eine Perspektive zu geben, die Möglichkeit, ohne massiven Druck in eine Rolle hineinzuwachsen. „Matthias Briem hat nun die große Chance, hier eine schlagkräftige Mannschaft zu formen.“ Rudolph ist fest überzeugt: „Wenn wir wollen, dass wir auch in ein paar Jahren noch halbwegs vernünftigen Handball spielen, dann müssen wir uns jetzt über solche Modelle unterhalten.“

Ob die Zukunft im Teckhandball auf lange Sicht nun Rot-Blau oder Blau-Rot erscheint, wird auch davon abhängen, wie weit es gelingt, die Vereinsbasis mitzunehmen. Die Entscheidung über eine Spielgemeinschaft müssten am Ende beide Hauptvereine mit­tragen. In Kirchheim, so ist zu vernehmen, sei die Stimmung überwiegend positiv. In Weilheim, so scheint es, ist unter den Traditionalisten noch einiges an Überzeugungsarbeit zu leisten. „Das Thema ist heikel“, muss Harald Lehmann, der sportliche Leiter der Handballer, gestehen. In mehreren Sitzungen, die sich damit befasst hätten, sei die Debatte durchaus kontrovers verlaufen.

Auch der TSV kommt in die Jahre

Dabei sind die Probleme, die Kirchheim zum Nachdenken zwingen, auch unter der Limburg nicht unbekannt. Auch beim Bezirks­ligisten, der zuletzt zweimal hintereinander erfolglos an die Tür zur Landesliga geklopft hat, sind viele Leistungsträger in die Jahre gekommen. Lehmann, der dem Thema offen gegenübersteht, ist dennoch auf der Hut, will niemanden überfordern. „Das Ganze muss langsam wachsen“, versucht er zu beschwichtigen. „Anfang nächsten Jahres werden wir uns zusammensetzen, schauen, wie läuft es, und danach die Frage stellen: Könnten wir uns mehr vorstellen?“ Offenbar wären auch Kirchheims Frauen nach der kommenden Saison in einem zweiten Schritt bereit für eine dauerhafte Kooperation.

Dabei hat man in Weilheim durchaus Erfahrung im Umgang mit Schnittmengen. Die SG Teck, als Jugendspielgemeinschaft mit dem TSV Owen, galt vor zwei Jahrzehnten noch als Erfolgsmodell. Martin Rudolph ist selbst ein Kind dieser Zeit und trug damals als Jugendlicher das Trikot der SG. Für ihn steht fest: Jetzt ist der Zeitpunkt, an dem sich Zukunft gestalten lässt.

 

Kommentar

von Bernd Köble

Was ist da los im Stammland des Handballs zwischen Alb und Neckar? Vor wenigen Wochen hat der TSV Zizishausen seine erste Mannschaft abgemeldet. Nach jahre­langer Talfahrt war der eins­tige Vorzeigeklub, der an die Tür zur Dritten Liga klopfte, selbst in der Verbandsliga plötzlich nicht mehr konkurrenzfähig. Jetzt packt den VfL Kirchheim dasselbe Schicksal. Längst vorbei die Zeiten, da Namen wie Enrico Wackershauser, Michael Theil oder Hans-Dieter Rogulj in Kirchheim für Erfolge in der baden-württembergischen Oberliga standen. Der Handball hat sich seitdem rasant weiterentwickelt, ist schneller, technischer, aufwändiger geworden. Und die, die in der Lage oder auch nur willens sind, da mitzuziehen, werden weniger. Wer es drauf hat und es sich leisten kann, der nimmt inzwischen weite Wege in Kauf, um dort zu spielen, wo nicht nur der Erfolg und ein professionelles Umfeld zu Hause ist, sondern auch Geld fließt. Wer da nicht mitmachen will, bäckt kleinere Brötchen odermacht über kurz oder lang den Laden dicht.
Alten Zeiten nachzuhängen, als ein TSV Oberlenningen in den 70er-Jahren im Alleingang die Oberliga stemmte, unter der Limburg Verbandsliga-Handball beheimatet war und in Owen sich die Topteams aus Württembergs Oberhaus die Klinke in die Hand gaben, ist das eine. Wer als Verein mit überschaubaren Mitteln bei der Musik bleiben möchte, der muss Mitstreiter suchen. Anerkannte Nachwuchsförderer mit Handball-Sachverstand wie Enrico Wackershauser haben dies schon vor Jahrzehnten angemahnt. Funktionäre und langjährige Spieler wie Roland Dotschkal und Peter Preller haben vor knapp zehn Jahren den Ball wieder aufgenommen und weitergespielt. An Aktive, die schriftlich dazu eingeladen wurden, den Ist-Zustand zu analysieren und sich Gedanken über die sportliche Zukunft zu machen. Das Ziel: eine Spielgemeinschaft aller Vereine rund um die Teck.
Das Ergebnis: konspiratives Gemurmel und ein Aufschrei der Traditionalisten. Eine HSG im Lenninger Tal gab es wenig später trotzdem. Fakten – und seien sie auch noch so unbequem – liefern eben nach wie vor die stärksten Argumente. Und Fakt ist: Die Zeiten haben sich geändert. Mit den heute Verantwortlichen in den Vereinen sitzt eine Generation am Hebel, die kaum Vorbehalte kennt, die Handball in höherklassigen Spielgemeinschaften erlernt hat und die einst Seite an Seite mit jenen kämpfte, die heute in Lokalderbys auf Bezirksebene ihre Gegner sind. Die Zeit ist daher reif für den nächsten Schritt. Aus fünf mach drei, aus drei mach zwei. Wer sich auf den Rückweg nach oben machen will, muss eins werden.