Lokalsport
Die Flandern-Rundfahrt auf der Kippe

Radsport Jannik Steimle geht bei Dwars door Vlaanderen an diesem Mittwoch angeschlagen in die Generalprobe für das erste Klassiker-Highlight des Jahres. Eine Woche später wartet Paris–Roubaix. Von Bernd Köble

Radsport auf höchstem Niveau lässt sich nicht planen, und der Körper folgt eigenen Regeln. Zwei Erkenntnisse, die bei Jannik Steimle im Moment für viel Frust und Enttäuschung sorgen. Jede Stunde Training, jeder Rennkilometer hat seit Jahresbeginn nur dem einen Ziel gedient: auf dem Höhepunkt zu sein, wenn in Belgien die Serie der Frühjahrsklassiker beginnt. Die Ouvertüre ist inzwischen vorbei, am heutigen Mittwoch geht mit Dwars door Vlaanderen der letzte Halbklassiker vor der Flandern-Rundfahrt an diesem Sonntag über die Bühne – und Steimle ist alles andere als topfit. 

Klar ist: Es wurden Fehler gemacht. Der Saisonstart in Australien, von dort mit Jetlag direkt unters Höhenzelt in Spanien, überhartes Training, weil die Motivation nach einer verlorenen Saison gewaltig war, jetzt die Quittung und die bittere Erkenntnis: Das Gesamtpaket zündet nicht. Beim E3 Saxo Classic am vergangenen Freitag hat ihn die sportliche Leitung nach drei Stunden aus dem Rennen genommen, als die Teamarbeit erledigt war. Mit ihm auch Teamkollege und Ex-Weltmeister Julian Alaphilippe, der sich zuvor einen Infekt eingefangen hatte.

Es läuft nicht wirklich bei Soudal Quick-Step. Die Belgier feiern im Moment zwar vereinzelte Etappensiege bei Rundfahrten, haben aber bisher erst einen einzigen Erfolg bei einem Halbklassiker erzielt. Sprintstar Tim Merlier scheint im Dress der früheren Seriensieger im Moment der einzige zu sein, der in der Lage ist, die Kohlen aus dem Feuer zu holen.

Alaphilippe ist in Flandern heute trotzdem der Leader im Team und Steimle der, der ihn mit ins Ziel tragen soll. Das Rennen gilt als Generalprobe für das zweite Monument des Jahres, bei dem es am Sonntag auf teils gleicher Strecke über 273 Kilometer und 19 Hellinge ein neues Kapitel Radsportgeschichte zu schreiben gilt. Ob Steimle wie im vergangenen Jahr am Start sein wird, wird sich heute entscheiden. Er weiß: Das endgültige Urteil fällt sein Körper. Der Kopf sagt: „Die Flandern-Rundfahrt ist kein Rennen, auf das man freiwillig verzichtet.“

Dabei wäre dies mit Blick auf das, was bevorsteht, vermutlich das einzig Vernünftige. Eine Woche später steht Paris–Roubaix im Kalender. Ein Rennen, das den selben Stellenwert genießt, dem Weilheimer allerdings deutlich mehr liegt. Wer hier ein Wort mitreden will, braucht einen großen Motor: Gleichmäßig
 

„Die Flandern-Rundfahrt ist kein Rennen, auf das man freiwillig verzichtet.
Jannik Steimle
 

hohe Belastung, weniger Anstiege. Bei der Flandern-Rundfahrt am Sonntag trennt sich am Oude Kwaremont die Spreu engültig vom Weizen. Eine Rampe, 2,2 Kilometer lang und bis zu elf Prozent steil, das Ganze kurz vor dem Ziel, wenn die Rennfahrer bereits mehr als 250 knüppelharte Kilometer in den Beinen haben. Wer hier keine Reserven mehr hat, der fliegt nach hinten weg, und Reserven sind das, was Steimle im Moment am schmerzlichsten vermisst. Sein Gefühl sagt ihm: „Die Chancen, dass ich am Sonntag am Start stehen werde, stehen bei 50 Prozent.“

Sein letzter Sieg liegt inzwischen zweieinhalb Jahre zurück. Es war das Einzelzeitfahren bei der Slowakei-Rundfahrt, das ihm anschließend auch den Gesamtsieg bescherte. Was danach an Rückschlägen folgte, reicht für eine ganze Radsportkarriere. Jetzt ist er wieder an einem Punkt, an dem er braucht, was ihn stark macht: der Glaube an die eigenen Fähigkeiten und an bessere Zeiten. „Meine Saison geht bis Oktober“, sagt Jannik Steimle. „Der Tag wird kommen.“
 

Infos zum Rennen

Dwars door Vlaanderen führt von Roeselare durch die flämischen Ardennen nach Waregem. Das Rennen folgt teilweise Abschnitten, die auch bei der Flandern-Rundfahrt befahren werden, ist mit 185 Kilometern aber deutlich kürzer. Die Generalprobe für das Radsport-Monument am Sonntag wird zum 77. Mal ausgetragen.
Das Team Soudal Quick-Step geht mit Julian Alaphilippe, Tim Merlier, Davide Ballerini, Casper Pedersen, Stan Van Tricht, Bert Van Lerberghe und Jannik Steimle ins Rennen. Eurosport überträgt live ab 14.10 Uhr. bk