Als Mischung aus Sport und Show ist Roller Derby von Stuttgart aus in ganz Deutschland immer beliebter geworden – Auch eine Kirchheimerin dabei
Die Freiheit beim Rempeln auf Rollschuhen

Für Außenstehende mögen es nur ein paar Mädels im Punk-Outfit sein, die auf Rollschuhen im Kreis fahren und sich gegenseitig umschubsen. Für die Stuttgart Valley Rollergirlz ist es die perfekte Mischung aus Tempo, Taktik und Teamgeist, gepaart mit Show, Selbstbewusstsein und Sex-Appeal. So oder so: Roller Derby ist eine Sportart auf dem Weg nach oben, die auch eine Kirchheimerin in ihren Bann gezogen hat.

Kirchheim. Wenn Katrin Kickartz ihren Lieblingssport in nur einem Wort beschreiben soll, muss sie nicht lange nachdenken: „Freiheit“, lacht sie. Der 28-Jährigen aus Kirchheim fällt auf Anhieb keine andere Disziplin ein, bei der man Konventionen, Normen, Stress und Probleme so leicht hinter sich lassen könne, wie beim Roller Derby.

Wobei: „Man“ sollte im Zusammenhang mit der aus Amerika stammenden Vollkontaktsportart eher durch „Frau“ ersetzt werden. Schließlich ist der Aufstieg des Roller Derbys gerade in Deutschland ausschließlich dem weiblichen Geschlecht zu verdanken. Die Wiege der wild anmutenden Rollschuhhatz steht hierzulande im Wilden Süden, genauer gesagt in Stuttgart. Hier schlossen sich im Jahr 2006 sieben junge Frauen zur ersten Rollerderby-Mannschaft Deutschlands zusammen. Mittlerweile gibt es bundesweit 25, Tendenz steigend.

Katrin Kickartz stieß 2011 zu den Rollergirlz und war sofort begeistert. „Es war rasant und verwirrend zugleich“, erinnert sich die Kirchheimerin an ihren ersten Besuch bei einem Heimwettkampf der Stuttgarterinnen, der nicht folgenlos bleiben sollte. „Mir war gleich klar: Das will ich auch machen.“

Gesagt, getan: Obwohl sie bis dahin mit Sport eher wenig am Hut hatte, schloss sich die Halbfinnin, die auf dem Schafhof aufwuchs, den Rollergirlz an. „Ich konnte Inliner fahren, aber mit Rollschuhen musste ich das erst lernen.“ Das tat sie schnell, stieg nach nur einem halben Jahr vom Anfängerstatus, der im Roller Derby Level 1 heißt, in den fortgeschritteneren Level 2 auf und bestritt nach einem weiteren halben Jahr ihr erstes Spiel.

Ein solches zu begreifen und mit Kennerblick zu verfolgen, ist angesichts eines international gültigen 60-seitigen Regelwerks eher schwierig. Wikipedia erklärt‘s in Kurzform so: Jedes Team besteht aus fünf Personen, die sich gleichzeitig auf einer ovalen Bahn befinden. Je eine Person ist der sogenannte „Jammer“, der durch das Überrunden gegnerischer Spieler Punkte erzielen kann. Die restlichen vier Spieler des Teams haben als Blocker die Aufgabe, sowohl den eigenen Jammer bei seiner Aufgabe zu unterstützen als auch den gegnerischen Jammer am Vorankommen zu hindern. Erlaubt ist dabei neben Abdrängen auch der direkte Körpereinsatz durch gezieltes Umschubsen und Rempeln. Gespielt wird in zwei Halbzeiten à 30 Minuten, in denen so viele zweiminütige „Jams“ wie möglich gefahren werden.

Damit die rund 1 000 Zuschauer, die durchschnittlich zu den Heimspielen der Rollergirlz kommen, das kraftaufwendige und ausdauerintensive Spektakel nachvollziehen können, erklärt der Hallensprecher das Geschehen live via Mikrofon. „Auch wenn man das auf den ersten Blick nicht erkennt, aber beim Roller Derby geht‘s viel um Taktik“, weiß Katrin Kickartz um die Bedeutung unterschiedlich zu fahrender Formationen, Aufstellungen und Abläufe, die neben Theorie, Blocken und der richtigen Falltechnik bis zu vier Mal wöchentlich trainiert werden – nicht gerade wenig für eine Sportart, die zwar mittlerweile unter dem Dach des Deutschen Rollsport und Inline-Verbandes (DRIV) organisiert ist, aber noch nicht in einem Ligen­betrieb stattfindet. Das soll sich in Zukunft jedoch ändern, die Roller Derby-Sportkommission des DRIV arbeitet mit Hochdruck daran, entsprechende Strukturen aufzubauen. „Im besten Fall geht es 2015 schon los“, weiß Katrin Kickartz.

Bis es so weit ist, bestreiten die Stuttgarterinnen übers Jahr verteilt ihre Bouts, wie Wettkämpfe offiziell heißen, auf Freundschaftsspielebene gegen Teams aus dem europäischen Ausland. Das nächste bereits am heutigen Samstag um 19 Uhr in der Sporthalle Stuttgart-West gegen die Rollin Heartbreakers aus Kopenhagen. Für Katrin Kickartz und die anderen knapp 80 Rollergirlz bedeutet das in erster Linie eines: Organisationsstress. „Ich bin die Erste, die morgens in die Halle kommt und die Letzte, die geht“, schmunzelt die 28-Jährige, die bei den Stuttgarterinnen als „Head of Orga“ für den reibungslosen Ablauf von Wettkämpfen verantwortlich ist. Gleichzeitig den Überblick und einen kühlen Kopf zu bewahren, ist sie aus dem Berufsleben gewohnt: Kickartz arbeitet als Ingenieurin für Fahrzeugtechnik in der Entwicklung bei Porsche viel vor dem Rechner, begreift Roller Derby darum auch als Ausgleich. „Im Training und im Spiel kann ich Frust abbauen“, sagt sie.

Außer als Ventil dient Roller Derby allerdings auch als Sozialkitt. Schließlich darf sich jede(r) bei den Rollergirlz willkommen fühlen, Vorurteile findet man bei aller Härte auf der Bahn keine. „Uns verbindet die Leidenschaft des Außergewöhnlichen“, sinniert Katrin Kickartz, die ihren nächsten Einsatz auf Rollschuhen am Samstag kommender Woche hat. Dann gastiert sie mit dem Stuttgarter B-Team bei den Bembel Town Rollergirls in Frankfurt.