Kein Trainer lässt sich gerne in die Karten schauen. An der richtigen Spieltaktik hängt buchstäblich viel der Ehre, die im Wörtchen Ehrgeiz steckt. Umso bemerkenswerter sind Sätze wie diese: Sein Kollege Igor Perovic habe ihn heute taktisch geschlagen, räumte Hagens Coach Chris Harris ohne Umschweife ein, nachdem er und seine Mannschaft gerade ihr Waterloo erlebt hatten. Eine flexible und gnadenlos effektive Kirchheimer Verteidigung gegen die Offensiv-Maschine der Pro A war am Samstag der Party-Booster in der Sporthalle Stadtmitte. „Offensiv war das heute eine durchschnittliche Leistung“, lautete das Fazit von Igor Perovic. „Defensiv war es ganz einfach verrückt“.
Die Mannschaft ist zu einer Einheit geworden.
Kirchheims Kapitän Lucas Mayer zur Entwicklung, die hinter dem Erfolg steckt.
Was bitte war das denn? Da rollt eine Mannschaft aus Hagen wie eine Dampfwalze durch die Liga, scheinbar unaufhaltsam auf dem Weg in Richtung BBL, erzielt dabei in bisher zwölf Begegnungen fast 100 Punkte pro Spiel – und lässt sich in der schwäbischen Provinz von einem Außenseiter aufs Abstellgleis bugsieren. 60 Punkte, mehr waren nicht drin. Ein Einzelkönner wie Marcus Graves, immerhin unter den zehn besten Scorern der Liga, mit mageren fünf Punkten aus dem Feld. Ein erstligaerfahrener Recke wie Bjarne Kraushaar, sieht man von zwei Freiwürfen ab, ohne jedes Erfolgserlebnis. Gibt‘s das? Gibt‘s. Kirchheim ist spätestens seit Samstag Gesprächsthema in der Pro A – wieder einmal. Und wenn unverhofft oft kommt, ist es kein Zufall mehr. Der 81:60-Überraschungserfolg gegen den souveränen Tabellenführer aus Westfalen ist einer mit Ansage. Denn Harris‘ Respektbekundung am Samstag in Ehren: Er hätte den Kirchheimer Sieg die Woche zuvor in Quakenbrück bloß ein zweites Mal anschauen müssen. Auch dort führte eine beeindruckende Willensleistung der Ritter dazu, dass der hochgewettete Gegner irgendwann kapitulierte.
„Wir haben der strukturiertesten Offensivmannschaft in dieser Liga komplett die Lust am Spiel genommen“, fasst es Kirchheims Sportchef Chris Schmidt zusammen. Ganze 78 Punkte gestatteten die Knights in den seitherigen zwölf Spielen ihren Gegnern im Schnitt. Tübingen blieb in der Sporthalle Stadtmitte bei 62, Nürnberg bei 61 Zählern hängen.
Perovic ist als Trainer gnadenlos leistungsorientiert, aber der Serbe hat ein Händchen, wo es eine Schaufel braucht, um Talent freizulegen. „Wir reden viel, wir kritisieren viel“, sagt der Coach. „Meine Spieler haben verstanden, worum es letztlich geht“. Worum es dem Chef geht, ist klar. Ein verworfener Dreier lässt Perovic kalt, eine Unachtsamkeit in der Defensive kann den meist stoisch wirkenden Coach in Rage versetzen.
Emotionen auf und neben dem Spielfeld, das ist, was er fordert. Und was keiner überzeugender liefert als sein Kapitän. Lucas Mayer war am Samstag wie schon so oft, derjenige, der voran ging. So wichtig wie seine 17 Punkte und acht Rebounds, die am Ende auf der Tafel standen, ist die Energie, die er liefert. „Ich will ein Leader sein, auch was die Körpersprache angeht“, sagt der 26-Jährige, der vor zweieinhalb Jahren aus Paderborn unter die Teck gewechselt und unter Perovic zur Führungskraft aufgestiegen ist.
Im Privaten ist Mayer ein eher zurückhaltender und äußerst bescheidener Typ. Auf dem Spielfeld wird der 1,88 Meter große Blondschopf regelmäßig zum adrenalingetränkten Schlachtenführer. Perovic mag solche Typen. Als verlängerter Arm auf dem Parkett, aber auch als Orientierungspunkt für willensstarke Charaktere wie Phillip Russell oder Tylan Pope. „Es hat eine Weile gedauert“, meint Lucas Mayer. „Für viele war die Liga neu, das Auftaktprogramm war hart und einige mussten sich erst an Igors System gewöhnen“. Inzwischen sei die Mannschaft zu einer Einheit geworden. Was für den Kapitän zählt: die Charakterstärke jedes Einzelnen. Die wird an diesem Donnerstag in Münster auf dem Prüfstand stehen. Nach dem umjubelten Sieg gegen den Tabellenführer ist mit dem Auftritt beim Schlusslicht ein kompletter Rollenwechsel verbunden: vom Außenseiter zum klaren Favoriten. Jeder, der den Sport kennt, weiß, welche Gefahr darin lauert. Mayer ist unbesorgt: „Damit werden wir uns in den nächsten Tagen intensiv beschäftigen“.
Hagen-Sieg macht Lust auf die EWS-Arena
Der Ticketverkauf fürs Weihnachtsspiel am 23. Dezember um 19 Uhr gegen Bremerhaven in der Göppinger EWS-Arena läuft auf Hochtouren. 2500 Karten sind für das Spiel gegen die Eisbären bereits weg. „Das ist zu diesem Zeitpunkt sehr gut“, freut sich Knights-Teammanager Chris Schmidt. Der mitreißende Erfolg am Samstag gegen den Tabellenführer aus Hagen hat Schmidt zufolge die Nachfrage noch einmal spürbar angekurbelt. Nach dem verpatzten Saisonstart Ende September an selber Stelle gegen Gießen ist diesmal die Hoffnung auf eine vorweihnachtliche Bescherung groß. Resttickets für das Spiel in Göppingen gibt es online unter kirchheim-knights.de/tickets. bk

