Die Owener Weltklasse-Kanuten Marcus Becker und Stefan Henze haben ambitionierte Pläne – Vor lauter Training kaum Zeit für die Familie
Die Owener Weltklasse-Kanuten Marcus Becker und Stefan Henze haben ambitionierte Pläne – Vor lauter Training kaum Zeit für die Familie

Hinterher flossen sogar Tränen – weil sich die beiden Brüder im sächsischen Kanupark Markkleeberg bei der Nationalmannschafts-Qualifikation gegenseitig ausgebootet hatten.

Das Familiendrama, erst auf dem Wildwasser, dann zu Lande, hatte weitreichende Folgen: Während Marcus Becker (29) zusammen mit Partner Stefan Henze nun für Deutschland die Zweierkanadier-Europameisterschaft (10. bis 12. Juni im spanischen Seu de Urgell), Weltcup-Serie und Weltmeisterschaft in Bratislava (8. bis 11. September) bestreiten darf, gucken Thomas Becker (21) und Mitfahrer Robert Behling als Quali-Verlierer buchstäblich in die Röhre – für beide bleiben die TV-Übertragungen im heimischen Wohnzimmer. „Ich habe geweint, als ich von der Nichtberücksichtigung meines Bruders erfuhr“, bekannte Marcus Becker hinterher.

Des einen Pech, des anderen Glück: Dem Flaggschiff der deutschen Zweierkanadier-Boote, dessen Besatzung seit dem Zuzug im Vorjahr aus Owen kommt, winkt in diesem Jahr sattes Medaillen-Zubrot. Ereilt Becker/Henze nicht noch eine Formkrise, dürfte den Weltmeistern von 2003, Oympiazweiten 2004 und sechsmaligen deutschen Meistern Treppchenplätze bei EM, Weltcup und WM kaum zu nehmen sein. Schließlich zählen die beiden früheren Hallenser seit Jahren zur Weltspitze – genauso wie die Slowaken Pavol und Peter Hochschorner, die dreifache Olympiasieger und zweimalige Weltmeister sind. Die 30-jährigen Zwillinge sind die Dauerbrenner in der internationalen Kanuslalomszene – keiner paddelt und kurvt im Stangenwald gewöhnlich schneller als sie. „Sie zu schlagen, fällt schwer“, sagt Becker, dessen Rennbilanz gegen die Slowaken negativ ist.

Gut, dass er Stefan Henze im Boot hat. „Wir beide verstehen uns prächtig, auch außerhalb des Bootes“, sagt er. Seit dem 13. Lebensjahr fahren sie zusammen, damals wie heute für den BSV Halle/Saale, studiert haben sie exakt dasselbe (Sportwissenschaften), und ihre Interessen und Denkmuster ähneln sich auch. Außerdem sind sie derselbe Jahrgang (1981), haben und hatten dieselben Bundeswehr-Standorte und werden nach ihrer Nach-Aktiven-Zeit in ein paar Jahren beruflich wohl wieder dasselbe tun: Talentierte Kanufahrer trainieren. „Unser beider Lebenslauf ist nahezu identisch“, weiß Becker. Die Rolle als Brüder im Geiste spielen Becker und Henze auch im Privaten perfekt: Die beiden Herzensdamen, die sie sich angelten, sind Schwestern. Zusammen mit Angela und Ute Bazle leben alle seit Sommer nun im heimeligen Städtchen Owen, und den beiden Kanu-Stars gefällt‘s. Zum großen Glück fehlt Becker/Henze jetzt nur noch ein Sponsor. Auf dem Wunschzettel ganz oben steht ein Autohaus, „weil wir ständig unterwegs sind und um die 65 000 Kilometer im Jahr herunterspulen.“

„Richtig gut eingelebt inzwischen“ hätten sie sich, erzählt Becker, und freut sich über wachsende Aufmerksamkeit im Städtchen: „Am Anfang erkannte mich keiner hier. Wenn ich im Laden aber neuerdings einkaufe, erkennen mich manche Leute und sprechen mich an. Manchmal fragen sie, wie es sportlich läuft.“ Echte Kommunikationsprobleme zwischen dem gemeinen Owener und dem TV-bekannten Wassersportler gab es bisher ohnehin nicht. Was auch daran liegt, dass die schwäbische Mentalität dem früheren Ossie durchaus sympathisch ist. „Mit dem Motto ‚Schaffe, schaffe, Häusle baue‘ kann ich mich jedenfalls besser anfreunden als mit der extremen Reserviertheit, die manche Bayern einem entgegenbringen“, sagt der Vielgereiste. Es sind seine Erfahrungen, nicht mehr und nicht weniger.

Ob er in seiner neuen Heimat schon das Hauff-Museum, die Burg Teck oder den Hahnweide-Flugplatz besucht hätte, will einer wissen. „Nein“, antwortet Becker, „für Sehenswürdigkeiten blieb bisher kaum Zeit, höchstens mal für einen Sonntagsspaziergang am Bürgersee mit Angela und unserer gemeinsamen Tochter Maya.“ Dass er beide in diesen Tagen viel weniger zu Gesicht bekommt als ihm lieb sein kann, liegt am engen Trainingsplan, den die Kanu-Nationalfahrer haben. „Wir trainieren oft im Bundesleistungszentrum Augsburg oder im Kanupark Markkleeberg – manchmal tageweise, manchmal über Wochen hinweg.“ Zimmer vor Ort sind angemietet.

Dass sie sich für das höchst ambitionierte Training im Eiskanal herausragend belohnen wollen, daran lassen Becker/Henze keinen Zweifel. „Bei den Olympischen Spielen 2012 in London möchten wir uns gegenüber den Spielen in Athen um einen Platz verbessern“, schreiben sie unmissverständlich auf ihrer Homepage. Damals waren sie hinter Schornacher/Schornacher Zweiter, geschlagen um ganze 1,7 Sekunden.