Ihre Träume liegen vorerst auf Eis. Jennifer Miller durchlebt seit zwölf Monaten in maximaler Intensität das Auf und Ab einer jungen Sportlerinnen-Karriere. Die 18-jährige Eishockeyspielerin aus Hochdorf versucht, in Lockdown-Zeiten bestmöglich Anschluss zu halten, und hat dabei Glück im Unglück.
Rückblende in den Januar 2020, Füssen im Allgäu: Als 16-Jährige holt sie mit dem deutschen U18-Team die Weltmeisterschaft in der 1A-Division, quasi die B-Weltmeisterschaft, verbunden mit der Qualifikation für die Top-Division. Im Gruppenspiel gegen Ungarn erlebte die Spielerin des SC Bietigheim-Bissingen „Steelers“ einen weiteren magischen Moment. Im Penaltyschießen erzielte sie das Siegtor, nachdem zuvor 25 Spielerinnen gescheitert waren. „Gott sei Dank konnten wir diese WM noch spielen“, sagt Miller erleichtert und wehmütig zugleich.
Wenige Zeit später folgte mit dem deutschen Perspektivteam gar noch ein Trip nach Südkorea - aus heutiger Sicht ein Tanz auf der Rasierklinge, breitete sich doch in Asien zum damaligen Zeitpunkt bereits das Coronavirus aus. Kurz nach Rückkehr dann die Vollbremsung: Lockdown, Saisonabbruch, erheblich eingeschränkte Trainingsmöglichkeiten.
Der neuerliche Lockdown im November sei „der nächste Schlag ins Gesicht“ gewesen. Dabei hat Jennifer Miller noch Glück. „Sie besitzt eine Förderlizenz, kann somit derzeit zwei- bis dreimal pro Woche in Mannheim trainieren“, betont Vater Volker Miller. „Vor Corona bin ich pro Woche tagsüber in die Schule, danach abends viermal ins Training nach Bietigheim, hatte zudem Athletiktraining, samstags und sonntags Spiele“, rekapituliert die Schülerin. Sie sei „fast nie daheim gewesen, und wenn, dann nur zum Schlafen“. Nun zeigt sich die Nachwuchshoffnung dagegen heilfroh, nach Mannheim zu dürfen, dort in einer Nebenhalle der SAP-Arena unter scharfen Hygienevorschriften aufs Eis gehen zu können. „Wenigstens sind die Autobahnen aktuell deutlich leerer als in Nicht-Coronazeiten“, berichtet Miller. Der Online-Unterricht an der Johann-Friedrich von Cotta-Schule in Stuttgart, sie besucht dort ein Sportförderklasse, bildet den zweiten Part ihres neuen Wochenfahrplans.
Nationaltrainerin trotzt Corona
Franziska Busch kennt die aktuelle Problemlage. „Eine schwierige Situation für den Nachwuchs“, weiß die deutsche U18-Nationaltrainerin, die ebenso aktiv versucht, den Pandemiezeiten zu trotzen. „Wir haben schon im ersten Lockdown über Videokonferenzen Kontakt gehalten, Trainingspläne besprochen, Einzelgespräche geführt, taktische Inhalte auch per Video in Gruppen besprochen“, erklärt sie. Zusätzlich gebe es Kontakt über soziale Medien.
Dass Jennifer Miller und andere Talente mit Kaderstatus weiterhin aufs Eis können, betrachtet sie als Glücksfall. „Auch wenn es oft einen Mehraufwand in puncto Zeit und Anfahrtsweg bedeutet, die Spielerinnen und ich sind sehr dankbar für diese Möglichkeit“, unterstreicht die 225-fache deutsche Nationalspielerin sowie zweifache Olympiateilnehmerin. Doch hätten nicht alle eine Möglichkeit, an einem Training teilzunehmen. „Oft sind die weiten Entfernungen ein Problem“, weiß Franziska Busch.
Volker Miller hat unterdessen einen handwerklichen Beitrag zur sportlich sinnhaften Überbrückung der Coronazeiten geleistet. Im heimischen Garten steht ein Eishockeytor. „Selbst zusammengeschweißt“, berichtet der ehemalige Fußballer stolz. Ein Netz sorge dafür, dass der Puck „nicht in die Wiese fliegt“. Auch eine Gleitfläche aus Kunststoff steht parat, zudem eine Hantelbank. Tochter Jennifer kann folglich ganz praktisch im Garten üben. „Eine wichtige Aufgabe wird es sein, die Kinder und Jugendlichen nach dem Lockdown wieder für den Vereinssport zu gewinnen beziehungsweise im Vereinssport zu halten“, sagt Nationaltrainerin Busch. Jetzt liege es auch an den Trainern, Perspektiven zu schaffen und die Spielerinnen dazu zu ermutigen und zu motivieren, weiter zu trainieren. „Es wird sich dann zeigen, wer es schafft, selbstdiszipliniert zu trainieren, immer vor dem Hintergrund, was halt individuell möglich ist“, so Busch.
Profikarriere in Übersee?
Jennifer Miller will eine solche Selbstdisziplin nach eigenen Angaben definitiv beibehalten. Zudem macht sie aktuell den Führerschein und erhöht damit ihre Flexibilität. Irgendwann einmal womöglich in der nordamerikanischen Profiliga NWHL zu spielen, oder, vorerst etwas naheliegender, den Sprung ins A-Nationalteam der Frauen zu schaffen, ist ihr Ziel - die kommenden Monate in diesen außergewöhnlichen Zeiten dürften für die Verwirklichung dieser Träume vorentscheidenden Charakter haben.